Vergeltung
oft mehr auf Gerüchten und Vermutungen als auf Fakten. Diese Sache war jedoch mit großem Trara auf der ersten Seite plaziert. Penny Burgess hatte die Schlüsselelemente für eine starke Story, und sie hatte keinen Fehler gemacht. Na ja, es sei denn, man zählte es als Fehler, dass sie den Tod von drei Frauen ausbeutete, um einen Artikel zu verkaufen. Die ganze Existenz dieser Frauen hatte auf Ausbeutung gegen Geld basiert. Was machte das noch für einen Unterschied? Carol wollte dem vertrauten Abscheu nicht nachgeben, aber sie schaffte es nicht.
»Jemand hat nicht dichtgehalten«, sagte sie. »Auf der ganzen Linie.«
»Ja, und wir wissen alle, wer«, folgerte Paula verbittert. »Zuerst ziehen sie über uns her und dann, wenn man sie zur Rede stellt, versucht ein nachtragender kleinlicher Scheißkerl, uns auf diese Art und Weise eins reinzuwürgen.« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf die Zeitung. »Ohne Rücksicht darauf, dass wir es aus handfesten operativen Gründen für uns behalten wollten. Sich eine Spitze gegen das ›Minderheiten-Integrationsteam‹ erlauben zu können ist offenbar wichtiger, als einen Serienmörder zu fassen.«
Tony nahm ihr die Zeitung ab und las den Artikel aufmerksam durch. »Sie spricht nicht einmal die Vermutung aus, dass es Sexualmorde sind«, sagte er. »Das ist interessant. Anscheinend war sie mit dem zufrieden, was sie von ihrer Quelle bekam, und hielt es nicht für nötig, da noch weitere Andeutungen zu machen.«
»Verdammte Penny Burgess«, sagte Chris.
»Hat Kevin das früher nicht auch gemacht?«, fragte Sam, richtete die Frage aber an niemanden im Besonderen.
»Halt die Klappe«, blaffte Paula.
»Ja, Sam. Wenn Sie nichts Sinnvolles zu sagen haben, dann seien Sie doch still«, wies ihn Carol zurecht. »Das bedeutet also, dass wir tatsächlich Northern nicht trauen können bei unseren Ermittlungen. Wir können weiter ihre Uniformierten die Routinearbeit machen lassen, Tür-zu-Tür-Befragungen, Fotos herumzeigen, diese Dinge. Aber alles andere – da lassen wir uns nicht in die Karten schauen.«
Stacey kam mit einem Hochglanzausdruck in den Händen hinter ihren Bildschirmen hervor. »Heißt das, wir hängen die Sachen nicht ans Whiteboard?«, fragte sie.
»Von was für Sachen sprechen wir?« Carol spürte, wie sich das dumpfe Pochen von Kopfschmerzen hinter ihren Augen meldete. Zu viele Entscheidungen, zu viel Druck, zu viele Bälle, mit denen sie jonglierte. West Mercia schien mit jedem Tag verlockender. Ihre Erwartung war, dass sie in ihrem Büro in Worcester nicht vor Mittag das Verlangen nach Alkohol verspüren würde. Und das war nicht der geringste Grund für ihren Umzug.
Stacey zeigte den Ausdruck herum, damit ihn alle sehen konnten. »Kamera an der Verkehrsampel zweihundert Meter entfernt von Dances With Foxes«, sagte sie. »Fährt in Richtung Stadt weiter.« Das Farbfoto zeigte einen Toyota, der vielleicht rot oder rötlich braun sein konnte, das Nummernschild konnte man lesen. Der Beifahrer sah aus wie eine Frau, langes Haar war zu erkennen. Das Gesicht des Fahrers war halb verdeckt von einer Baseballkappe, doch was zu sehen war, war nicht deutlich genug für eine Identifikation.
»Ist das unser Typ?«
»Der Zeitrahmen stimmt. Auf den früheren Aufnahmen taucht dieser Wagen nicht auf. Beim Dances With Foxes ist er dann plötzlich da. Er kam also entweder vom Club, vom Teppichlager nebenan oder dem Sonnen- und Nagelstudio daneben. Ich vermute allerdings, dass beide zu der Zeit am Abend nicht mehr geöffnet haben. Also ist fast sicher, dass dieser Wagen vom Dances With Foxes kam. Zwei andere Autos folgen in diesem Zeitfenster dem gleichen Fahrtmuster, aber beide hatten keine Beifahrerin. Ich würde sagen, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dies der Wagen des Mannes ist, der Leanne Considine vom Lapdance-Club mitnahm.«
Stacey trug ihre Berichte immer vor, als mache sie eine Zeugenaussage. Carol mochte diese Klarheit, obwohl ihr manchmal eine eindeutige Faktenlage lieber gewesen wäre. »Großartig gemacht, Stacey«, lobte sie. »Gibt’s was über die Nummernschilder zu sagen?«
»Sie sind falsch«, antwortete Stacey lapidar. »Sie gehören zu einem Nissan, der vor sechs Monaten verschrottet wurde.«
»Könnte man die Aufnahme vom Gesicht des Fahrers verbessern?«
»Ich glaube, es ist nicht genug davon sichtbar, dass es sich lohnt. Auf jeden Fall nicht für etwas, das wir rausgeben könnten mit der Hoffnung, dadurch ein Ergebnis zu erhalten.«
Sam
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