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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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her. Wir brauchen diese Genehmigung jetzt, Judge. Dieser Kerl läuft jetzt schon siebzehn Jahre frei herum. Was wäre, wenn das Ihre Tochter gewesen wäre? Könnten Sie dann auch wegsehen? Rebecca Lost war ein Einzelkind.«
    Judge Demchaks Augen verdunkelten sich. Als sie zu sprechen begann, tat sie es gleichermaßen mit Ruhe und Ärger.
    »Ich wende hier nicht den Blick von etwas ab, Detective. Im Gegenteil, ich bin die Einzige in diesem Zimmer, die genau hinsieht. Und vielleicht sollte ich hinzufügen: Wenn Sie das Gericht noch weiter beleidigen und in Frage stellen, werde ich Sie wegen Missachtung in Gewahrsam nehmen lassen. Der Gerichtsdiener könnte in fünf Sekunden hier sein. Vielleicht könnten Sie die Ausfallzeit dazu nutzen, sich mit den Mängeln Ihres Antrags zu befassen.«
    Bosch ließ sich dadurch nicht einschüchtern.
    »Ihre Mutter lebt noch in dem Haus«, fuhr er fort. »Das Zimmer, aus dem Rebecca entführt wurde, befindet sich noch in genau demselben Zustand wie an dem Tag, an dem sie ermordet wurde. Derselbe Bettbezug, dieselben Kissen, alles noch genau wie damals. In diesem Zimmer – und für die Mutter – ist die Zeit stehen geblieben.«
    »Aber diese Fakten sind hier nicht von Belang.«
    »Ihr Vater wurde zum Trinker. Zuerst verlor er sein Restaurant, dann seine Frau und sein Zuhause. Ich habe ihn heute Morgen in der Fifth Street aufgesucht. Dort lebt er inzwischen. Ich weiß, dass auch das hier nicht von Belang ist, aber ich dachte, es könnte Sie vielleicht interessieren. Wahrscheinlich haben wir nicht genügend Fakten für Sie, aber wir haben viel Leid, das diese Sache hinterlassen hat, Euer Ehren.«
    Die Richterin hielt seinem Blick stand, und Bosch wusste, er würde entweder ins Gefängnis wandern oder dieses Zimmer mit einer unterschriebenen Anordnung verlassen. Dazwischen gab es nichts. Im selben Moment sah er das Aufflackern von Schmerz in ihren Augen. Jeder, der – egal, auf welcher Seite – eine gewisse Zeit in den Gräben der Strafjustiz verbracht hat, bekommt nach einer Weile diesen Blick.
    »Also schön, Detective«, sagte Demchak schließlich.
    Sie blickte auf das Antragsformular und kritzelte unten auf die letzte Seite ihre Unterschrift. Dann begann sie die Felder auszufüllen, in denen die Länge der Telefonüberwachung festgelegt wurde.
    »Überzeugt bin ich trotzdem noch nicht«, sagte sie streng. »Deshalb gebe ich Ihnen zweiundsiebzig Stunden.«
    »Euer Ehren«, sagte Bosch.
    Rider legte ihm wieder die Hand auf den Arm, um ihn davon abzuhalten, aus einem Ja ein Nein zu machen. Dann ergriff sie das Wort.
    »Euer Ehren, zweiundsiebzig Stunden sind für unser Vorhaben extrem wenig Zeit. Wir hatten gehofft, mindestens eine Woche zu bekommen.«
    »Sie sagten doch, der Zeitungsartikel erscheint morgen«, entgegnete die Richterin.
    »Ja, Judge, so war es zumindest geplant, aber …«
    »Dann werden Sie ziemlich schnell mehr wissen. Wenn Sie das Gefühl haben, die Frist verlängern zu müssen, kommen Sie am Freitag noch mal her und versuchen, mich zu überzeugen. Zweiundsiebzig Stunden, und ich will jeden Morgen ein Tagesresümee vorgelegt bekommen. Wenn ich das nicht bekomme, belange ich Sie beide wegen Missachtung des Gerichts. Ich werde nicht zulassen, dass Sie nur aufs Geratewohl ihre Netze auswerfen. Wenn in diesen Resümees nichts ist, was direkten Bezug zu der Sache hat, drehe ich Ihnen sogar schon vorher den Hahn ab. Ist das klar?«
    »Ja, Euer Ehren«, sagten Bosch und Rider wie aus einem Mund.
    »Gut. Und jetzt habe ich eine Vorbesprechung in meinem Gerichtssaal. Für Sie also Zeit, zu gehen, und für mich, wieder an die Arbeit zu gehen.«
    Rider sammelte die Dokumente ein, und sie bedankten sich. Als sie zur Tür gingen, rief ihnen Judge Demchak hinterher.
    »Detective Bosch?«
    Bosch drehte sich um und sah sie an.
    »Ja, Judge?«
    »Sie haben das Foto gesehen, richtig? Von meiner Tochter? Sie haben geraten, dass ich nur ein Kind habe.«
    Bosch sah sie kurz an, dann nickte er.
    »Ich habe selbst nur eins«, sagte er. »Ich weiß, wie das ist.«
    Sie sah ihm eine Weile in die Augen, bevor sie sagte: »Sie können jetzt gehen.«
    Bosch nickte und folgte Rider nach draußen.

 
     
     
     
     
     
     
     
     
    24
    Sie sprachen kein Wort, als sie das Gerichtsgebäude verließen. Es war, als wollten sie nach draußen kommen, ohne es zu beschreien, als würde, wenn sie auch nur ein Wort über das eben Geschehene verloren, dies durch das Gebäude zurückgeworfen und die

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