Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
versorgen ihn mit Geld, geben ihm Obdach«, weiß Timmer. Es seien »alte Idealisten«, ein »Arbeiterpfarrer« aus Vingst, Leute aus den Medien und »alternativen Projekten«, wie der Kölner »Feuerwache«, die Herrmann als Anlaufstelle nutzt. Der Verein »Aachener Friedenspreis« hat einen »offenen Brief« an OB Roters geschrieben, in dem es unter anderem heißt: »Die Klagemauer ist ein Angebot zur politischen Bewusstseinsbildung für Kölner Bürger und Reisende aus aller Welt.« Und: »Was der Marktplatz im alten Athen für Sokrates bedeutete, bedeutet für Walter Herrmann die Domplatte.«
Dazu muss man wissen: Der Aachener Friedenspreis e.V. ist keine Vereinigung grün-alternativer Tofu-Feinschmecker, sondern eine richtige Sammelbewegung, der neben vielen Privatpersonen über 50 Institutionen und Organisationen angehören, darunter die Stadt Aachen, der DGB, Missio und Misereor, der Diözesanrat der Katholiken im Bistum Aachen, der evangelische Kirchenkreis, die SPD, die Grünen und die Linkspartei. Eine breiter aufgestellte Volksfront für den Frieden kann man sich kaum vorstellen.
Der Pressesprecher des Kölner OB meint, der Stadt seien die Hände gebunden. »Wenn wir die Möglichkeit hätten, würden wir Herrn Herrmann einen anderen Ort anbieten.« Einen Platz, wo der Demo-Profi von seinem Recht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch machen könnte, ohne dem Ruf der Stadt zu schaden. Denn: »Ein demokratischer Staat muss einen Walter Herrmann aushalten.« Fragt sich nur, wo.
Aber Herrmann denkt nicht daran, die Stellung auf der Domplatte zu räumen. Seit über 20 Jahren ist er im Einsatz. Für die Obdachlosen, gegen die Atombombe, für die Palästinenser. Die Frage, wovon er lebt, beantwortet er kurz und mit einem Lächeln: »Ich war mal Lehrer.« Er hat weder ein Telefon noch ein Handy. Am Lenkrad seines Fahrrads baumeln ein paar PLUS-Taschen aus Jute. Längst ist ihm ein Platz in der Hall of Fame der kölschen Originale sicher: Tünnes und Schäl, Klaus der Geiger, die Bläck Fööss, Walter Herrmann. Und im Hintergrund wirkt ein Anwalt, »der noch nie einen Cent von mir bekommen hat«. Vier Jahre lang führte er einen Prozess gegen das Land Berlin. Verfügungsverfahren, Hauptsacheverfahren, dann eine »Sprungrevision« zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Das erklärte Herrmann im August 2007 zum Sieger. Es ging um eine »Versammlung« in Berlin, »aber das Urteil hat bundesweite Wirkung«, sagt Herrmann.
Der Antisemitismus ist nicht nur der »Sozialismus der dummen Kerls« und ein »Gerücht über die Juden«, er ist auch das Kleingeld der armen Schweine, das Feuerchen, an dem sich jeder Unbehauste wärmen kann. Keine Sau würde sich für Walter Herrmann interessieren, wenn er die Zustände in Weißrussland oder die Nöte der Kopten in Ägypten zu seinem Lebensinhalt gemacht hätte, aber das, was Israel mit den Palästinensern anstellt, ist so nah am Holocaust dran, dass wir »nicht wieder schweigend zuschauen« können, denn: »Hitler ist Vergangenheit. Aber Israel ist Gegenwart. Nicht noch einmal.«
Unabhängig von der Frage, ob die »Klagemauer« den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt oder als »Kunstwerk« den Schutz des Artikels 5 des Grundgesetzes genießt, mutet es doch recht seltsam an, dass nach Ansicht der Kölner Staatsanwaltschaft ein Nichtjude kein Recht hat, sich über antisemitische Darstellungen zu beschweren, dass der Kölner OB in Tel Aviv eine »Resolution« verkündet, die nur von seinem Unwillen zeugt, daheim tätig zu werden, dass das Ordnungsamt sehr wohl in der Lage ist, Nutten aus der Innenstadt zu verbannen und ambulante Händler von der Domplatte fernzuhalten, aber kein Mittel gegen eine antisemitische Dauerdemo findet, die dem Ruf der Stadt schaden könnte. Wer das alles als gegeben hinnimmt, der schließt auch einen Bausparvertrag mit dem Osterhasen ab.
Mittlerweile ist Walter Herrmann nicht nur in Köln weltberühmt, auch außerhalb der Grenzen der Domstadt wird über ihn berichtet. Allerdings: So wie die Kölner ticken, könnte gerade das ein Grund sein, ihn weitermachen zu lassen, denn die viel gerühmte kölsche Toleranz gilt Juden wie Antisemiten gleichermaßen.
Im Juli 2011 beschloss der Kölner Stadtrat, auf dem Platz vor dem alten Rathaus mitten im Zentrum der Stadt ein jüdisches Museum zu bauen. Zuvor war dort bei archäologischen Arbeiten ein mittelalterliches Judenviertel gefunden worden – mit allem, was dazugehört: Synagoge, Mikwe und Metzgerei.
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