Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
von Ahmadinedschad über »Jerusalem« im Original gehört oder in der amtlichen Übersetzung, die von der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur ISNA verbreitet wird, gelesen hat, der hat keine Zweifel, was Ahmadinedschad im Sinn hat, wenn er dazu »auffordert«, die Besatzung Jerusalems zu beenden: das ganze »zionistische Gebilde«, dessen Namen Ahmadinedschad nicht einmal in den Mund nimmt.
Der iranische Präsident ist ein ehrlicher Mann, er macht keinen Unterschied zwischen Haifa und Hebron, Rehovot und Ramallah, es geht ihm nicht um die Grenzen von 1948, 1967 oder 1973. »Jerusalem« ist für ihn nur ein Synonym für alle von den Zionisten besetzten Gebiete, er sagt »Jerusalem« und meint »Palästina«. Frau Amirpur aber, die es eigentlich wissen sollte, tut so, als ginge es Ahmadinedschad nur um Jerusalem, vielleicht auch nur um die heiligen Stätten der Moslems in der Altstadt. Dass er auf einer Konferenz zum Thema »Die Welt ohne Zionismus« sprach, macht sie nicht stutzig, weckt in ihr nicht den Verdacht, dass er nicht nur Jerusalem, sondern die ganze Welt von den Zionisten befreien möchte.
Dafür kann Frau Amirpur aber sehr sorgfältig zwischen transitiven und intransitiven Verben unterscheiden. »Eliminieren« sei transitiv, »verschwinden« dagegen intransitiv. Das erste meine »ein zielgerichtetes aktives Handeln«, das zweite eine »ungezielte passive Entwicklung«. Im Persischen, schreibt sie, sei »mahvshodan jedoch ein intransitives Verb, im Gegensatz zum transitiven eliminieren«.
»Eliminieren« versus »verschwinden«. Transitiv, zielgerichtet und aktiv gegen intransitiv, ungezielt und passiv. Schaut man sich unter diesem Gesichtspunkt die Reden von Goebbels an, wird man feststellen, dass er oft statt transitiver, zielgerichteter Formeln intransitive, ungezielte benutzte. So sagte er zum Beispiel im August 1941 in einer Ansprache: »Das öffentliche Leben in Berlin muss schleunigst von ihnen [den Juden] gereinigt werden … Berlin muss eine judenreine Stadt werden … Sie [die Juden] verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung.« Und so wie der iranische Präsident heute von »Jerusalem« spricht und Palästina meint, sprach der Propagandaminister damals von »Berlin«, meinte aber Deutschland und Europa und später die ganze Welt.
Wenn man also sorgfältig zwischen transitiven und intransitiven Verben unterscheide und darüber hinaus berücksichtige, dass Ahmadinedschad im Grunde nur einen alten Satz von Ayatollah Khomeini zitiert habe, dann, so Frau Amirpur in der SZ, werde »deutlich, dass Ahmadinedschad nicht die Auslöschung Israels forderte oder die Vernichtung des jüdischen Volkes, sondern einen Regimewechsel«.
Einen Regimewechsel! Neuwahlen in Jerusalem! Die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit! Oder vielleicht doch lieber gleich die Übergabe der Stadtschlüssel an die Fatah und die Hamas?
Woran auch immer Frau Amirpur dachte, ihre Absicht war klar: die zahlreichen und wiederholten Drohungen des iranischen Präsidenten gegenüber Israel, dem »Krebsgeschwür«, das »aus dem Körper entfernt werden muss«, rein intransitiv natürlich, zu einem Übersetzungsfehler klein zu reden. Ahmadinedschad meine nicht das, was er sage, und er sage nicht das, was ihm in den Übersetzungen in den Mund gelegt werde. Es sei alles ganz anders, gar nicht so »martialisch«, wie es sich anhört.
In einer Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September 2009 sagte der iranische Präsident unter anderem auch Folgendes: »Es ist nicht länger akzeptabel, dass eine kleine Minderheit die Politik, Wirtschaft und Kultur großer Teile der Welt durch ihre komplizierten Netzwerke beherrscht und eine neue Form der Sklaverei betreibt.« Leider hat es Frau Amirpur versäumt, auch diese Rede von Ahmadinedschad auf ihre transitiven und intransitiven Elemente zu untersuchen. Bedeutet »Es ist nicht länger akzeptabel« ein »zielgerichtetes aktives Handeln« oder eher eine »ungezielte passive Entwicklung«?
So herum oder andersrum: Die Richtigstellung in der SZ war ein nachhaltiger Erfolg. Wer immer seitdem über das iranische Atomprogramm schreibt und auf die genozidalen Erklärungen des iranischen Regimes gegenüber Israel hinweist, der wird umgehend belehrt, Ahmadinedschad habe nie gesagt, dass Israel von der Landkarte ausradiert werden müsse, es handle sich vielmehr um einen »Übersetzungsfehler«, der von interessierter Seite produziert worden sei, um
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