Vergib uns unsere Sünden - Thriller
Anzüge aus dem Kleiderschrank
und bürstete ihn aus, putzte sich die Schuhe, gurgelte mit Mundwasser, kämmte sich und fuhr hinüber ins Zweite Revier, um mit Roth zu sprechen. Als er um zehn nach sieben dort ankam, wartete Roth schon auf dem Gehsteig.
»Bist du gut bei so was?«, fragte Roth.
»Geht so.«
»Hast dich schwer in Schale geworfen.«
Miller lächelte. »Solltest’n Foto machen … So bald kriegst du das nicht wieder zu sehen.«
»Er hat eine Wohnung Ecke New Jersey Avenue und Q, hinter Chinatown.«
»Ist Littman ihm gefolgt, nachdem er aus der Arbeit kam?«
Roth nickte. »Rate mal, wohin? In die Carnegie-Bibliothek.«
»Du machst Witze.«
»Nein, er war etwa’ne Stunde drinnen, dann ist er direkt nach Hause gefahren. Riehl ist dort, Robey hat sich noch nicht gerührt, sagt er.«
Miller schwieg einen Moment. Robey in der Carnegie-Bibliothek? Noch so ein Zufall? »Und was haben wir über unseren John Robey erfahren?«
Roth schüttelte den Kopf. »Nichts. Er ist nie verhaftet worden, nicht einmal wegen einer Verkehrsübertretung. Sein Name erscheint in der Sozialversicherung, im Grundbuchamt, ein paar Mitgliedschaften in Organisationen, die mit dem College zusammenhängen, und wenn man tief genug buddelt, findet man Material zu ihm als Autor. Er hat zwei Bücher veröffentlicht, das zweite 2001. Viele Interviews scheint er nicht gegeben zu haben. Anscheinend hat er die Sache ziemlich runtergespielt. Natürlich haben wir keine Fingerabdrücke, sonst könnten wir sie im AFIS checken lassen, aber so weit wir das bis jetzt beurteilen können, ist er sauber.«
»Das heißt, wir wissen nicht mehr als heute Morgen«, sagte Miller.
»So sieht es aus. Er ist nicht gerade ein Promi.«
»Ich brauche keinen Promi«, sagte Miller. »Ich brauche irgendeinen Hinweis, ob er zu so etwas fähig ist oder nicht.«
»Dann fahr hin«, sagte Roth. »Fahr hin, und bring ihn zum Reden.«
»Und wenn er nicht redet?«
Roth zuckte die Schultern. »Das macht es nicht schlimmer, als es schon ist. Wir tun, was wir können, damit es besser wird, mehr können wir nicht tun.«
Miller streckte die Hand aus. »Autoschlüssel.«
Roth zog sie aus der Tasche und warf sie Miller zu. Miller fing sie auf und machte sich auf den Weg in die Tiefgarage.
»Viel Glück«, rief Roth ihm nach.
Miller antwortete nicht, drehte sich nicht mal um.
Er ging die schräge Rampe hinunter ins Halbdunkel der Parkgarage des Zweiten Reviers.
Vierzig Minuten später fuhr Robert Miller einen halben Block vor der Kreuzung New Jersey Avenue und Q Street an den Randstein. Eine Weile blieb er einfach sitzen und lauschte dem sich abkühlenden Motor, dem Murmeln fernen Verkehrs, dem gelegentlichen Vorbeirauschen eines Autos auf der Gegenfahrbahn. Rechts von ihm kam eine kleine Gruppe junger Frauen lachend und scherzend aus einer Bar; eine von ihnen lief auf die Kreuzung zu, die anderen rannten hinterher, und vor der Ampel stießen sie alle in einem wilden Haufen zusammen. Miller schloss die Augen und lauschte. Er lauschte auf jedes Geräusch. Er hörte den Schlag seines eigenen Herzen, und es schlug schnell.
Um vier Minuten nach acht stand Miller am Fuß der Treppe, die zu Robeys Wohnung hinaufführte. Seine Hände waren schweißnass. Noch beim Überqueren der Straße hatte er
sich gefragt, was für einen Sinn diese Unternehmung haben sollte. Es war weder illegal noch ehrlos noch hinterhältig, Robey einen Besuch abzustatten. Er wollte mit dem Mann reden. Oder besser, er wollte, dass der Mann mit ihm redete. Er wollte wissen, was er damit gemeint hatte - und die Frage bewegte er im Kopf hin und her, seit er seine Wohnung verlassen hatte -, als er von der Bö gesprochen hatte, auf die kein Gewitter gefolgt war.
Und dann fiel es ihm wieder ein. Es war beinahe so, als wäre es die ganze Zeit dagewesen. Verwahrt in einer Schachtel irgendwo in den Tiefen seines Gehirns, und nur die Frage, das Augenmerk darauf, hatte den Deckel aufgestoßen. Die Erinnerung war an die Oberfläche gekommen, und er stand wieder in Catherine Sheridans Haus, sah den Fernsehbildschirm, sah das ganze Zimmer vor sich, und aus dem Fernseher klangen die Worte.
»Ich muss zu Papa, Onkel Billy.«
»Ein andermal, George.«
»Es ist wichtig.«
»Erste Böen da drinnen, da wird’n Gewitter draus.«
Ist das Leben nicht schön ? Der Film war gelaufen, während Catherine Sheridan ermordet worden war.
Die Erinnerung hatte sich Zeit genommen, aber als sie kam, kam sie so heftig,
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