Vergib uns unsere Sünden - Thriller
nervös.
Keine zwei Kilometer entfernt, im Keller unter den Diensträumen der Gerichtsmedizin, stand die amtliche Leichenbeschauerin Marilyn Hemmings über den Leichnam der Catherine Sheridan gebeugt und zeigte ihrem Assistenten Tom Alexander, was sie gefunden hatte.
»Sehen Sie das?«, fragte sie.
Marilyn Hemmings war Anfang dreißig, vielleicht etwas zu jung für den Job, aber sie war schon so oft mit der Frage nach ihrer Qualifikation für diese Position konfrontiert worden, dass sie sich einen Harnisch aus Zynismus und Schärfe zugelegt hatte. In jedem Fall war sie eine attraktive Frau, eine Attraktivität, die sich mehr dem Flair der Unabhängigkeit verdankte, das sie umgab. Der Erste Coroner der Stadt Washington war offiziell noch bis Januar auf Forschungsurlaub, und Marilyn erledigte seinen Job mit großem Selbstbewusstsein. Dieses Selbstbewusstsein trat jetzt zu Tage, als sie in die Höhle von Catherine Sheridans Brustkorb hinabschaute.
»Eine Frage«, sagte Tom Alexander.
»Schießen Sie los.«
Alexander zuckte die Achseln. »Selbst wenn es pure Neugier ist, wie lange hätte sie es noch gemacht?«
»Schwer zu sagen. Jeder Organismus reagiert anders. Das hängt von vielen Dingen ab. Haben Sie schon rausgefunden, bei welchem Arzt sie in Behandlung war?«
»Bis jetzt nicht.«
»Keine Akte in der medizinischen Datenbank des Bezirks?«
Alexander schüttelte den Kopf.
Hemmings zog die Augenbrauen hoch. »Wer war diese Frau? Noch immer keine Antwort bei der Sozialversicherungsnummer. Gebiss, Fingerabdrücke, DNS - nirgendwo klingelt es. Und jetzt ist sie nicht mal in der medizinischen Datenbank.«
»Na ja, in unseren Datenbanken tauchen sie erst auf, wenn sie irgendwann mal verhaftet wurden … Und auch dann werden nur Fingerabdrücke genommen, und die gehen schneller verloren, als Sie glauben.«
»Machen Sie mich nicht schwach«, erwiderte Hemmings.
»Und was machen wir jetzt?«
»Die Sache zu Ende bringen. Und dann die Leute anrufen, die den Fall bearbeiten. Sie sollen herkommen und den Bericht abholen.«
»Ich hab mit ihnen gesprochen. Sie sind unterwegs. Es ist Robert Miller.« Alexander schwieg, schaute Hemmings an, wartete auf eine Antwort.
Sie lächelte schwach. »Und?«
»Nichts … Gar nichts.«
»Kommen Sie, Tom, Sie habe sich doch was dabei gedacht.«
»Nein … Nein, absolut nicht …«
»Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie in der Zeitung …«, sagte Hemmings, als das Klingeln des Telefons sie unterbrach.
Alexander nahm den Hörer ab, erwiderte einen Gruß, bedankte sich und legte wieder auf.
»Sie sind da«, sagte er.
»Ich rede mit ihnen«, antwortete Marilyn Hemmings. »Und wenn Sie den Bericht fertig geschrieben haben, können Sie anfangen, die Bahren abzuspritzen.«
Hemmings verließ den Autopsiesaal und ging in ihr Büro. Sie zog den Laborkittel aus und nahm den linken Korridor zum Haupteingang. Miller und Roth warteten bereits.
Sie lächelte, als sie Miller sah. Er erwiderte das Lächeln, aber die Verlegenheit stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Robert«, sagte sie herzlich.
Miller ergriff ihre Hand. »Marilyn«, antwortete er leise und nickte Richtung Roth. »Sie kennen Al Roth, meinen Partner?«
»Detective Roth«, sagte sie, »ja, wir sind uns ein paarmal begegnet.«
»Freut mich, Sie zu sehen«, sagte Roth. Er löste die Spannung, indem er hinzufügte: »Den größten Zeitungswahnsinn haben Sie jetzt hinter sich, oder?«
Hemmings lächelte. »Ich habe ein dickes Fell.«
»Sind Sie mit der Sheridan-Autopsie fertig?«, fragte Miller.
»In diesem Moment«, sagte sie. »Kommen Sie mit ins Büro.«
Miller war froh, Roth dabeizuhaben, als sie ihr durch den Korridor folgten. Es war nichts gewesen zwischen Miller und Hemmings, aber die Zeitungen hatten anderes unterstellt. Keine leichte Erfahrung. Wenn sie sich ein kleines bisschen besser gekannt hätten, wäre es vielleicht einfacher gewesen. So blieb es bei Anspannung und Blicken, und Miller fragte sich, ob sie genauso verlegen war wie er und ob die Verlegenheit aus dem Wunsch erwuchs, über das Geschehene zu reden, oder dem Versuch, so zu tun, als wäre nichts geschehen.
»Der Fall hat etwas Eigenartiges«, sagte Marilyn Hemmings und nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz. »Ist den drei anderen Fällen sehr ähnlich, aber auch anders.«
Sie wies auf einen Stuhl neben der Tür, einen anderen vor der Wand. Roth und Miller nahmen Platz.
»Hat einer von Ihnen Forensik studiert … oder vielleicht
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