Vergib uns unsere Sünden - Thriller
und ließ sie hinaus.
»So kommt ein Puzzlestück zum anderen«, sagte Roth, als sie beim Wagen ankamen.
»Erkennst du schon ein Bild?«, fragte Miller.
Roth schüttelte den Kopf. »Du?«
»Irgendetwas … Himmel, ich weiß es nicht, vielleicht ist es etwas, vielleicht nicht. Auf jeden Fall gefällt es mir nicht.« Nach einem Moment und einem Blick zurück zu Natasha Joyces Wohnung sagte er: »Was immer hier im Gange ist, es gefällt mir ganz und gar nicht.«
Später Nachmittag. Studenten entlassen. Ich sitze in meinem Zimmer, die Füße auf dem Schreibtisch. Ich fühle etwas wie ein Nichts, eine Leere, ein inneres Vakuum. Gedanken an die Zeit als Student, als sie mit mir geredet haben - Lawrence Matthews und Don Carvalho.
Gedanken an die Mütze. An ihre Scheißmütze. Diese alberne türkisfarbene Baskenmütze, die sie an dem Dezembertag trug, als sie mir in diesem Café in Richmond über den Weg lief.
Dezember 1980, der zehnte, ein Mittwoch. Lausig kalt. Daran erinnere ich mich. Und an die verfluchte Mütze.
Es war fünf Monate nachdem Reagan und Bush das Weiße Haus mit über zehn Millionen Stimmen Vorsprung vor Carter und Mondale erobert hatten. Carter war beschädigt von der Energiekrise, den Schlangen an den Tankstellen, dem Albtraum mit den Teheraner Geiseln. Die Republikaner hatten das Haus, und jetzt wollten sie mit allem aufräumen, was die Demokraten verbrochen und verbockt hatten, und ich hörte Don Carvalho zu, wie er mir erklärte, dass es eigentlich gleichgültig war, wer das Amt innehatte, und dass die Firma, für die er arbeitete, als unbeeinflusste, vorurteilslose Kraft der Ordnung und Stabilität diente, egal, welche politische Farbe gerade en vogue war.
»Es ist längst keine Sache der Politik mehr«, sagte er. Wir saßen in einem italienischen Feinkostimbiss Ecke Klein Avenue, Fourth Street, beide am Fenster, Don mit angezogenen Knien, die Absätze auf der Sitzkante, die unvermeidliche filterlose Zigarette im Mundwinkel.
»Keine Sache der Politik?«, fragte ich, eher rhetorisch als aus einem anderen Grund. »Und ob es eine Sache der Politik ist.«
Don setzte die Füße wieder auf den Boden, beugte sich lächelnd vor. »Sehen Sie, genau da irren Sie, mein Freund. Hier ist Politik eine Erscheinung.« Er schwenkte die Hand
Richtung Langley. Wir nannten Langley nie beim Namen. Es hieß immer nur »da drüben« oder »bei uns« oder »das Hotel«. Er redete weiter. »Da drüben interessiert es einen feuchten Dreck, wer im Haus sitzt. Sie wollen sicher sein, dass den fundamentalen Notwendigkeiten der Demokratie und der internationalen Stabilität Rechnung getragen wird. Es ist eine Sache der Kontrolle, nicht der Politik. Die scheißen drauf, wer wo an der Macht ist, welcher Westentaschendiktator welchen anderen Westentaschendiktator aus dem Land gejagt hat. Staatsstreiche, Militärputsche und der ganze Käse …« Don schüttelte lachend den Kopf. »Um globalen Besitz geht es nicht, ging es nie, John. Wir wollen die Welt nicht besitzen. Uns geht es darum, den Status quo so weit aufrechtzuerhalten, dass anständige Menschen bekommen, was ihnen zusteht, und dass sie es behalten dürfen, wenn sie es haben.«
»Sie erwarten nicht, dass ich das glaube, Don«, sagte ich, aber Don lächelte nur, wie er es immer tat, bevor er das Thema wechselte.
Ich durchschaute ihn, ihn und viele andere seines Typs. Ich war oft in Langley gewesen. Man war dabei, mir die richtige »Denke« einzuimpfen. Ich näherte mich bereits den Überzeugungen und Haltungen, die in unseren indoktrinierenden Sitzungen gefördert wurden.
»Da oben ist es wie bei den Anonymen Kontrollettis«, hatte Don gesagt. »Nicht auf die hören, die polemisieren und predigen. Hören Sie lieber auf Leute, die eine Meinung äußern und als solche kenntlich machen. Wenn einer behauptet zu wissen, wo’s langgeht, kann man fast sicher sein, dass er keinen Schimmer hat. Wenn einer dagegen glaubt, eine Vorstellung zu haben, sich aber nicht sicher ist, bevor er die Sache nicht von allen Seiten betrachtet hat, dann ist er ein Mann, an dem wir interessiert sind, weil er flexibel ist, verstehen Sie? Und deshalb sind Sie hier, mein Freund. Das Management
unseres Landes … Aber was rede ich da? Es geht gar nicht mehr um unser Land, es geht längst um das Management dieser ganzen verfluchten Welt - ein Job, der auf den Schultern weniger Männer lastet, die selbstständig denken können, nicht einer Herde von dummen Schafen, und ganz sicher nicht einer
Weitere Kostenlose Bücher