Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
schnappte den Hund und öffnete die Beifahrertür. Als ich eingestiegen war und die Tür zugeklappt hatte, sah ich kurz zu ihm hinüber. Er legte gerade den Gang ein. »Danke. Der Hund ist noch nicht so der Profi im Fahrradfahren.«
»Kein Problem«, entgegnete er und bog wieder auf die Fahrbahn. »Wir haben ja schließlich den gleichen Weg. Da wär es schon ziemlich unhöflich gewesen, nicht anzuhalten.«
Ich nickte, streichelte den Hund und vertiefte mich in den Anblick der Bäume am Straßenrand. Also hatte er aus reiner Höflichkeit gehalten. Eigentlich ja nicht weiter überraschend. Ich zupfte ausgiebig Murphys – wieder rosa gepunktete – Schleife zurecht und konzentrierte mich darauf, nichts zu sagen. Ich hatte mich schon so ausnehmend gründlich blamiert, dass ich es nicht noch schlimmer machen wollte. Aber das Schweigen zwischen uns war so beklemmend, dass es mich fast erstickte.
Vielleicht ging es Henry genauso, denn er schaltete das Radio ein – und sofort wieder aus, als ein peinlicher Countrysänger anfing, über eine zerbrochene Liebe zu schmachten. Eine Weile fuhren wir schweigend weiter, bis er irgendwann zu mir herüberschaute und sagte: »Ich wusste gar nicht, dass ihr einen Hund habt.«
»Hm«, machte ich und kraulte ihm die Stelle zwischen den Ohren, die immer sein Hinterbein zucken ließ. »Ist auch noch ziemlich neu.« Henry nickte nur und dann herrschte wieder Schweigen. Eigentlich wollte ich nichts weiter dazu sagen, aber dann fiel mir ein, dass es ein angenehm unverfängliches Thema war. Ich fügte also hinzu: »Er gehörte den Leuten, die letzten Sommer unser Haus gemietet hatten.«
Henry warf einen Blick auf den Hund und nickte. »Ah, deshalb kam er mir so bekannt vor. Ich hab schon die ganze Zeit überlegt.« Als er an einem Stoppschild halten musste, wanderte sein Blick von Murphy zu mir. »Und wieso ist er jetzt bei euch?«
»Die haben ihn einfach ausgesetzt«, antwortete ich. »Wir konnten sie nicht erreichen und da haben wir ihn mehr oder weniger aufgenommen.«
»Ausgesetzt«, wiederholte er seltsam ausdruckslos.
Ich nickte. »Nach dem Sommer.« Ich schaute zu ihm hinüber und wartete auf eine Reaktion, denn alle anderen – selbst mein Großvater am Telefon – hatten sich verärgert, mitfühlend oder besorgt geäußert. Doch Henry umfasste nur das Lenkrad fester und wirkte plötzlich sehr verschlossen.
Nachdem wir den Rest der Strecke wortlos hinter uns gebracht hatten, bog Henry statt zuerst in unsere Einfahrt gleich in seine eigene ein, was den Hund total verwirrte, denn beim Näherkommen hatte er schon voller Vorfreude auf sein Zuhause am Fenster Männchen gemacht. Offenbar hatte er schon vergessen, dass dort die Leute Sirup auf ihn kippten. »Danke für’s Mitnehmen«, sagte ich, nachdem Henry den Motor ausgeschaltet hatte. Allerdings machte er keine Anstalten, auszusteigen.
»Ja«, sagte er abwesend, »klar.« Ich schaute zu ihm hinüber und überlegte, was ich Falsches gesagt hatte oder ob er immer noch sauer war wegen unserer vorherigen Begegnung. Es sah so aus, als ob ich mit meinen Bemühungen, die Vergangenheit abzuschließen, alles nur noch schlimmer gemacht hatte. Ich versuchte etwas zu sagen, was die Stimmung zwischen uns wieder ein bisschen versöhnlicher machte, aber in diesem Moment richtete sich Murphy auf und fing an zu jaulen. Er wollte unbedingt nach Hause, wo er doch schon so nahe dran war.
Ich öffnete die Tür, stieg aus und setzte den Hund ab, der sofort anfing, an der Leine zu zerren. Wieder wollte ich noch etwas zu Henry sagen, aber der saß immer noch gedankenverloren auf dem Fahrersitz. Also klappte ich nur leise die Tür zu und verließ das Grundstück, wobei Murphy kräftiger an der Leine zog, als ich es ihm zugetraut hätte, und ich überlegte, was mit Henry wohl los war.
Eine Stunde später saß ich mit einem Glas Coke light mit extra viel Eis im Hauseingang und putzte Maiskolben fürs Abendessen. Meine Geschwister saßen neben mir und sollten mir eigentlich helfen. Aber Gelsey vollführte eigentlich nur Ballettübungen am Treppengeländer, während Warren nervös auf und ab lief, bei Gelseys grands battements mehrmals fast ihr Bein ins Gesicht bekam und mich davon unbeirrt mit Fragen über sein anstehendes Date bombardierte.
»Und sie hat echt Ja gesagt?«, fragte er, während ich einen Maiskolben aus seiner grünen Blätterhülle schälte, sodass die gelben und weißen Körner zum Vorschein kamen. Allein bei diesem Anblick knurrte
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