Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
schrecklich leeren, tauben Gefühl in der Lage war. Es kam mir vor, als ob ich ihn im Stich ließ. »Ich würde den Sommer gerne mit euch allen in unserem Haus am See verbringen«, sagte er. Er schaute uns nacheinander an. »Was sagt ihr dazu?«
Kapitel 5
»Das darf ja wohl nicht wahr sein!« Meine Mutter klappte eine Schranktür in der Küche heftiger zu als nötig und drehte sich zu mir um. »Die haben sämtliche Gewürze mitgenommen. Ist das denn zu fassen?«
»Hmm«, murmelte ich. Ich war dazu verdonnert worden, meiner Mutter beim Auspacken der Küchenutensilien zu helfen, sortierte aber lieber akribisch die Besteckschublade. Das fand ich angenehmer, als mich einer von den großen Kisten zu widmen, deren Inhalt noch auszuräumen war. Bisher hatte meine Mutter noch nichts bemerkt, weil sie sich gerade einen Überblick verschaffte, was in der Küche noch vorhanden war. Offensichtlich hatten die Mieter vom vorigen Sommer fast alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war – einschließlich Putzmittel und diverse Plastikflaschen aus dem Kühlschrank. Im Gegenzug hatten sie lauter Krempel von sich dagelassen – wie zum Beispiel das Gitterbett, über das Gelsey so stinksauer war.
»Wie soll ich denn ohne Gewürze kochen?“, schimpfte meine Mutter, öffnete einen Hängeschrank und stellte sich auf die Zehenspitzen, um hineinzuspähen. Dabei war ihre Fußhaltung tadellos. Meine Mutter war früher von Beruf Balletttänzerin gewesen, bis eine Sehnenverletzung ihr mit erst knapp dreißig einen Strich durch die Rechnung machte. Trotzdem sah sie noch so aus, als ob sie jederzeit das Profi-Tanztraining wieder aufnehmen könnte. »Taylor«, sagte sie mit strengem Unterton, und ich sah sie an.
»Was denn?«, fragte ich und ärgerte mich über meinen schuldbewussten Tonfall, während ich einen Teelöffel zurechtschob.
Meine Mutter seufzte. »Kannst du bitte mal mit deiner Schmollerei aufhören?«
Es gab wohl kaum einen Satz, der mich mehr zum Schmollen brachte als dieser. Ohne es zu wollen, platzte ich heraus: »Ich schmolle doch gar nicht.«
Mom schaute durch die Veranda hinaus auf den See und dann wieder in meine Richtung. »Dieser Sommer wird für uns alle schwer genug, auch ohne dein … Benehmen.«
Ich schob die Besteckschublade unnötig heftig zu und kämpfte gegen eine Mischung aus Schuldgefühlen und Wut an. Obwohl ich nie Mamis Liebling gewesen war (diesen Platz besetzte schon Gelsey), kamen wir im Grunde ganz gut miteinander klar.
»Ich weiß ja, dass du nicht mitkommen wolltest«, sagte sie schon etwas sanfter. »Aber wir müssen versuchen, das Beste draus zu machen. Okay?«
Ich öffnete die Schublade und machte sie wieder zu. Obwohl ich erst seit ein paar Stunden in diesem Haus war, bekam ich jetzt schon Platzangst. Und ein Ex-Lover nebenan, der mich – völlig zu Recht – hasste, machte es auch nicht gerade besser. »Na ja …«, wand ich mich ein bisschen, »ich weiß halt gar nicht, was ich den ganzen Sommer hier anstellen soll. Und …«
»Mom!« Gelsey kam in die Küche gestürmt. »Dieses Gitterbett steht immer noch in meinem Zimmer. Und außerdem geht das Licht nicht.«
»Die Murphys haben wahrscheinlich auch noch sämtliche Glühlampen mitgehen lassen«, meinte sie kopfschüttelnd. »Ich seh’s mir mal an.« Sie folgte Gelsey aus der Küche und legte ihr dabei von hinten die Hand auf die Schulter. An der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch mal zu mir um. »Taylor, wir besprechen das später, ja? Kannst du oder Warren inzwischen losfahren und Pizza holen? Sieht ja nicht so aus, als ob ich heute Abend hier was kochen könnte.«
Sie ging hinaus, während ich noch ein paar Minuten in der Küche blieb und die orangefarbenen Plastikdosen mit den Medikamenten anstarrte, die sorgsam aufgereiht auf dem Tisch standen. Nach einer Weile riss ich mich jedoch los und gingmeinen Vater suchen, denn wo er war, konnte Warren nicht weit sein.
Nach kurzer Suche – das Haus war ja nicht gerade riesig – fand ich beide am Esstisch. Mein Vater saß mit Brille und einem Stapel Unterlagen vor seinem Laptop, während Warren konzentriert über einem dicken Wälzer brütete und sich beim Lesen eifrig Notizen machte. Warren hatte schon seit Ewigkeiten seine Zusage für die University of Pennsylvania in der Tasche und wollte sich für den Jura-Grundkurs einschreiben. Aber wenn man ihn so sah, konnte man glatt denken, er wäre längst Teilhaber einen großen Kanzlei und das Jura-Studium nur noch reine
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