Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
Uhr. Zu Hause trug ich fast nie eine, denn da hatte ich immer mein Handy dabei. Aber abgesehen von ein paar sinnlosen Simsereien mit ein paar Bekannten, die ich aus lauter Einsamkeit kontaktiert hatte, klingelte es praktisch nie. Und da ich nicht ständig daran erinnert werden wollte, dass mich kein Schwein anrief, ließ ich das Telefon lieber gleich in meinem Zimmer liegen. Aus diesem Grund musste ich die Zeit also woanders ablesen. »Halbe Stunde«, wiederholte ich. »Geht klar.« Dad nickte mir kurz zu und machte sich auf den Weg zu Hensons Gemüseladen, wo er sicher den Mais für meine Mutter kaufen wollte.
Ich machte kehrt, ging in Richtung Vereinshaus und ärgerte mich mal wieder, dass ich mich am Morgen nicht sorgfältiger zurechtgemacht hatte. Meine Kleidung bestand aus dem, was nach den paar Tagen hier praktisch meine Sommeruniform geworden war: abgeschnittene Jeans-Shorts und Tanktop. Ich befürchtete, dass dieses Outfit plus die Tatsache, dass ich noch keinerlei Erfahrung hatte, meine Aussichten auf einen Job erheblich sabotieren würde. Aber als ich dann vor dem Gebäude mit der Holzverkleidung und dem aufs Fenster aufgemalten Logo von Lake Phoenix (einem mit triefenden Flügeln aus dem See aufsteigenden Phoenix, hinter dem die Sonne auf- oder auch unterging) stand, blieb mir nichts anderes übrig, als reinzugehen und mein Glück zu versuchen. Also straffte ich mich und öffnete die Tür.
Eine Viertelstunde später hatte ich einen Job. Als ich wieder hinaus in die Sonne trat, musste ich blinzeln und setzte meine Sonnenbrille wieder auf. Mir war ein bisschen schwindlig. Ich besaß jetzt drei offizielle weiße Lake-Phoenix-Shirts (die Kosten sollten mit meinem ersten Gehalt verrechnet werden), ein Mitarbeiter-Handbuch und die Anweisung, in drei Tagen zur Arbeit am Strand zu erscheinen. Jillian, die für das Einstellen der Mitarbeiter zuständig war, hatte sich meine Bewerbung angehört und parallel am Computer die Angebote geprüft. Dabei murmelte sie immer wieder, dass ich viel zu spät käme und die besten Jobs alle schon vergeben wären.
Die Verwaltung von Lake Phoenix war um einiges größer, als ich erwartet hatte. Im Vereinshaus war ich bisher kaum gewesen, nur ab und zu sonntags zum Brunch. Aber da hatten Warren und ich immer nur darauf gewartet, dass wir endlich aufstehen und zum Strand rennen durften. Nach einigem Suchen hatte ich endlich das Personalbüro gefunden, in dem sich Jugendliche für Jobs in der Gegend bewerben konnten. Das waren hauptsächlich Stellen als Rettungsschwimmer, Imbissverkäufer im Schwimmbad oder am Strand, oder als Yogalehrer für Senioren. Die meisten, die ich kannte, hatten ihren ersten Ferienjob – in der Regel am unteren Ende der Attraktivitätsskala, wie zum Beispiel Klos putzen – mit vierzehn bekommen und waren dann mit zunehmendem Alter etwas weiter aufgestiegen. Wenn ich weiter jedes Jahr im Sommer hergekommen wäre, hätte ich sicher meinen ersten Job auch schon vor Jahren gehabt. Stattdessen herrschte in meiner Bewerbung unter »Praxiserfahrungen« peinliche Leere.
Aber Jillian hatte schließlich doch noch was für mich gefunden – am Strand gab es eine Neueröffnung. Die Stellenbeschreibung war zwar ziemlich allgemein gehalten, was mich ein bisschen beunruhigte, doch Jillian meinte, ohne Ausbildung als Rettungsschwimmer oder Segelerfahrung würde ich mit ziemlicher Sicherheit am Imbissstand landen. Da sie Kloputzen nicht erwähnte, sagte ich zu und füllte ein paar Formulare mit meinen Angaben aus. Nachdem ich vor ein paar Minuten noch keinerlei Plan für den Sommer gehabt hatte, wusste ich jetzt immerhin, dass man zu einem Job T-Shirts dazubekommt.
Dann stand ich in der Nachmittagshitze auf der Main Street und stellte fest, dass bis zum Treffen mit meinem Vater noch ein bisschen Zeit war. Also schaute ich auf einen Sprung in der winzigen Bibliothek des Ortes vorbei, erneuerte meinen Leserausweis und lieh mir drei Krimis aus. Am liebsten hätte ich die verbleibende Zeit dort verbracht, weil es dank der Klimaanlage angenehm kühl war. Aber andererseits wollte ich mich auch noch ein bisschen in der Main Street umsehen.
Das Einkaufsviertel von Lake Phoenix war eher klein und beschränkte sich im Wesentlichen auf diese eine Straße. Nicht mal ein Kino gab es. Wenn man einen Film sehen wollte, musste man in das zwanzig Autominuten entfernte Städtchen Mountainview zum Outpost fahren, einer Kombination aus Kino, Minigolfanlage und Spielhalle – was wir bei
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