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Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Titel: Vergiss den Sommer nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Matson
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beschwerte er sich.
    »Tut mir leid«, wiederholte Henry in exakt demselben Tonfall und ich spürte, wie sich mein Gesicht zu einem Grinsen verziehen wollte. Um es zu verbergen, beugte ich mich zur Auslage hinunter und inspizierte ihren Inhalt, die Reihen aus glasiertem Gebäck, gefüllten Teigröllchen und Brownies. Aber meine Aufmerksamkeit gehörte nur zur Hälfte den (zugegebenermaßenlecker aussehenden) Backwaren. Ich erhaschte einen Blick auf Henry, wie er nickte und so tat, als ob er dem zornigen Herrn zuhörte, der sich immer noch aufregte. Henry trug ein hellgrünes T-Shirt und Jeans. Das T-Shirt hatte vorn als schwarzen Aufdruck das Logo der Bäckerei Die Nussecke, und seine Schulter war leicht mit Mehl bestäubt. Ich war überrascht, ihn hier arbeiten zu sehen, was natürlich ziemlicher Quatsch war, denn ich wusste ja praktisch nichts mehr von ihm. Aber so wie ich ihn früher kannte – und dass ich ihm im Wald begegnet war, hatte das nur bestätigt –, war er unter freiem Himmel immer am glücklichsten. Und die wenigen Male, als in den vergangenen Jahren meine Gedanken nach Lake Phoenix gedriftet waren, zu den Menschen, die ich dort zurückgelassen hatte, konnte ich Henry in meiner Fantasie immer bei irgendeiner Beschäftigung im Freien sehen.
    Das helle Kling der Registrierkasse holte mich zurück in die Gegenwart, in der Henry seinem ungeduldigen Kunden gerade das Wechselgeld reichte und eine grüne Kuchenschachtel über den Tresen schob. »Vielen Dank«, sagte er in unverändert höflichem Ton. »Und einen schönen Tag noch.«
    »Ja, den hab ich ganz bestimmt«, grummelte der Mann, nahm die Schachtel und ging. Erst als ich mich wieder zum Tresen umdrehte, fiel mir auf, dass Henry und ich nun ganz allein in der Bäckerei standen.
    Ich sah ihn an, dann warf ich einen kurzen Blick auf mein Outfit und wünschte mir zum zweiten Mal an diesem Tag, ich hätte mir etwas mehr Mühe bei meiner Kleiderwahl gegeben. Doch ich verwarf den Gedanken schnell wieder. Henry hatte mich schließlich schon gesehen, wie ich gerade dem Bett entstiegen oder mit zerkratzten Beinen im Wald herumgestolpert war. Und außerdem hatte er offenbar irgendeine Blondine als Freundin. Was mir natürlich völlig egal war.
    »Also«, sagte Henry und schüttelte den Kopf, »ich finde, das geht langsam zu weit, dass wir uns ständig so treffen.«
    »Arbeitest du hier?«, fragte ich und hätte mich auf der Stelle für meine Blödheit ohrfeigen können. Klar arbeitete er hier. Sonst würde er ja wohl kaum hinter dem Tresen stehen und cholerische Baseballfans bedienen. »Ich meine«, korrigierte ich mich eilig, und versuchte aus meiner dämlichen Frage eine Feststellung zu machen, »du arbeitest also hier.«
    »Sieht so aus«, antwortete Henry, und ein Schmunzeln zuckte um seine Mundwinkel. Mein Versuch, meinen Schnitzer einigermaßen auszubügeln, war offensichtlich missglückt. »Die Bäckerei gehört meinem Vater.«
    »Oh«, entfuhr es mir, und meine Überraschung war mir sicher deutlich anzuhören. Henrys Vater war, soweit ich mich erinnern konnte, immer so viel unterwegs gewesen wie meiner – einer von den Vätern, die immer freitags gegen Abend mit Anzug und Aktentasche aus dem Bus stiegen. Ich schaute mich in der Bäckerei um, wobei ich versuchte, beides miteinander in Zusammenhang zu bringen, was allerdings misslang. »Aber«, sagte ich nach einer kurzen Pause, »ich dachte immer, dein Vater macht irgendwas mit Finanzen?«
    »Früher mal«, bestätigte Henry so knapp und endgültig, dass ich meine Frage sofort bereute. Wahrscheinlich hatte sein Vater seinen Job verloren, und Henry brauchte nun wirklich niemanden, der ihn daran erinnerte. »Er meint immer, dass es im Wesentlichen dasselbe Prinzip ist«, fügte er nach einem kurzen Moment in etwas milderem Ton hinzu. »Alle wollen was vom Kuchen abhaben.«
    Ich stöhnte auf – das war die Art von Scherz, die mein Vater draufhatte – und Henry grinste mich breit an.
    Dann breitete sich Schweigen zwischen uns aus. Henry schob die Hände in die Hosentaschen und räusperte sich. »Also, womit kann ich dienen?« Sein Ton war jetzt wieder ganz dienstlich und neutral.
    »Ähm, ja«, sagte ich hastig, denn schließlich war ich die einzige Kundin im Laden und die Frage, was ich kaufen wollte, hätte mich nun wirklich nicht so aus der Bahn werfen sollen. »Also …« Mein Blick fiel auf ein Tablett mit bunt glasierten Cupcakes, und ich schaute schnell wieder weg. Cupcakes erinnerten mich zu sehr

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