Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
dazu, bevor ich dann im Herbst anfange zu studieren.«
»Ach so?« Beim Plaudern mit Wendy beugte sich Warren so weit über die Theke, dass er dem Hund praktisch Auge in Auge gegenüberstand. Das nutzte dieser sofort aus und schleckte ihn liebevoll am Ohr, woraufhin Warren – das musste man ihm zugutehalten – nur minimal zurückzuckte. »Wo gehst du denn hin?«
»An die Stroudsburg State University«, antwortete sie, ohne den Blick vom Monitor zu wenden. »Die Tiermedizin dort ist super.«
»Toll«, erwiderte Warren und versuchte auf Abstand zum Hund zu gehen, der ihm jetzt hingebungsvoll das Gesicht ableckte. »Ganz toll.«
Sprachlos sah ich meinen Bruder an. Warren war in Sachen Studium schon immer der absolute Snob gewesen, was sich noch verstärkt hatte, seit er einen Fuß in einer Elite-Uni hatte. Stanford bezeichnete er gern als seine »sichere Bank«. Dass er sich jetzt positiv über eine Hochschule äußerte, von der er vor fünf Minuten garantiert noch nie gehört hatte, war geradezu schockierend untypisch für ihn. Aber andererseits hatte ich Warren in Gegenwart eines Mädchens überhaupt noch nie so erlebt.
»Okay«, sagte Wendy und studierte den Bildschirm. »Hier haben wir einen Treffer!«
»Oh, Klasse«, antwortete ich und fragte mich, wie es jetztwohl weiterging – ob sie die Besitzer kontaktieren würde oder ob wir das machen mussten. So putzig dieser Hund auch sein mochte – ich wollte ihn doch schleunigst an seine Besitzer zurückgeben.
»Und«, fuhr sie fort, während sie weiter scrollte, »es sieht so aus, als ob er sogar von uns gechippt wurde, er stammt also aus der Gegend. Einwandfrei. Die Adresse lautet …« Sie machte eine Pause und las dann vor: »Dockside Road Nummer 84 in Lake Phoenix.« Lächelnd sah sie uns an, während ich sicher war, dass ich mich verhört hatte. »Das ist gar nicht weit von hier«, fügte sie nach einer Weile hinzu. »Soll ich eine Wegbeschreibung ausdrucken?«
»Ich weiß, wo das ist«, sagte ich und starrte auf den Hund. Jetzt war mir natürlich klar, wieso er ständig in unserer Einfahrt herumlungerte. »Das ist unsere Adresse.«
Zwei Stunden später waren Warren, Murphy und ich wieder zu Hause. Der Hund hatte eine sorgfältige Reinigung über sich ergehen lassen und roch noch dezent nach Chemie. Obwohl er ein Rüde war, hatte er im Hundesalon ein rosa gepunktetes Band zwischen die Ohren bekommen. Außerdem brachten wir eine ganze Tragetasche voll Hundezubehör mit: Fressnapf, Wasserschale, Schlafkorb, Leine und Futter. Eigentlich war ich nicht so scharf darauf, ihn zu behalten, aber als Wendy im Laden begann, die »Grundausstattung« zusammenzustellen, war Warren ihr brav hinterhergedackelt, hatte alles abgenickt und mit mir kein Wort über die ganze Sache gewechselt. Erst als wir zu dritt wieder im Auto saßen und zurückfuhren, während Murphy begeistert und viel ruhiger als vorher aus dem Fenster hechelte, sagte ich zu Warren: »Ich kann’s echt nicht fassen.«
»Ich weiß«, antwortete Warren kopfschüttelnd. Er gab sich wahrscheinlich große Mühe, wie üblich ernsthaft zu wirken, aber er glitt immer wieder ins Verträumte ab. »Die Mieter vom letzten Sommer, vermute ich mal?«, fragte er. »Wendy meinte ja, dass die Daten vom Chip aus dieser Zeit stammen.«
»Und der Name stimmt auch«, ergänzte ich. »Passt alles zusammen.« Ich hielt an einer Ampel und dachte darüber nach, dass mein Bruder Wendys Namen gerade in dem Tonfall ausgesprochen hatte, der bei ihm ansonsten für seine Kurzreferate über Mautstationen und Glühlampen reserviert war. »Was wohl mit ihm passiert ist?«, fragte ich beim Anfahren, obwohl ich genau wusste, dass mein sonst so allwissender Bruder diesmal keine Antwort parat hatte. »Ob die ihn nach dem Sommer einfach ausgesetzt haben?«, überlegte ich laut und merkte, wie mich die Wut packte über diese herzlosen Gewürzdiebe, die den armen Hund so behandelt hatten. »Einfach auf dem Grundstück zurückgelassen?«
Warren zuckte die Schultern. »Und wenn er ihnen abgehauen ist?«, mutmaßte er, jetzt wieder ganz der Alte – wohlüberlegt und sachlich. »Wir wissen ja nichts weiter. Am besten, wir erzählen es Mom, sie kann die Leute doch anrufen. Vielleicht ist alles nur ein Missverständnis.«
»Kann schon sein«, antwortete ich zweifelnd. Als ich in unsere Straße einbog und wir uns unserem Haus näherten, versuchte Murphy auf die Konsole zwischen uns zu klettern, äugte sehnsüchtig in Richtung Haus, wedelte
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