Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
den Teller packte und ihn dann die ganze Zeit mit Argusaugen beobachtete, sodass sie selber kaum zum Essen kam. Vor zwei Tagen hatte mein Vater nur ein bisschen auf seinem Teller herumgestochert, bei jedem seiner wenigen Bissen das Gesicht verzogen und schließlich bloß seufzend meine Mutter angesehen.
»Tut mir leid, Katie«, sagte er und schob seinen Teller weg. »Ich hab einfach keinen Appetit.«
Meine Mutter schickte mich los, um für ihn einen Vanillemilchshake aus Janes Eisdiele zu holen, aber als ich damit zurückkam, lag er schon im Bett und schlief. Also saß ich letztendlich selber damit auf den Stufen und trank ihn aus, während ich das auf dem See funkelnde Mondlicht beobachtete.
Ich entledigte mich meiner Flip-Flops, streckte die Beine auf dem Gras aus und hoffte, dass Lucy Verständnis dafür hatte, dass ich lieber über etwas anderes reden wollte. »Wie läuft’s eigentlich mit Kevin?«
»Kyle«, korrigierte sie mich. »Kevin war letzte Woche.« Sie wackelte vielsagend mit der Augenbraue, und ich schüttelte lächelnd den Kopf. Seit ihrer Trennung von Stephen hatte Lucy sich mit so ziemlich allem verabredet, was Lake Phoenix an – annehmbaren und weniger annehmbaren – Jungs zu bieten hatte. Es sah so aus, als ob sie immer noch nicht gecheckt hatte, dass Elliot total in sie verknallt war und deshalb fast jede Kundenbestellung vergeigte. Und als ich einmal andeuten wollte, dass ich für sie jemanden im Blick hatte, mit dem sie befreundet war, dachte sie, ich wollte sie mit Warren verkuppeln – was vorübergehend für Verwirrung sorgte.
»Aber du könntest Kevin haben«, rief Lucy und ihr Gesicht hellte sich auf. »Dann können wir zu viert ausgehen. Das wär doch super.«
»Luce«, sagte ich nur, und Lucy seufzte. Seit sie sich wieder mit voller Kraft ins Dating-Geschehen gestürzt hatte, wollte sie mich ständig überreden, mit ihr auszugehen. Aber bisher hatte ich jeder ihrer Einladungen widerstanden, und zwar aus gutem Grund.
»Ist es wegen Henry?«, fragte sie und ließ mich nicht aus den Augen.
»Nee.« Aber das kam viel zu schnell, um überzeugend zu klingen. Natürlich war es wegen Henry. Seit unserer Begegnung auf dem Steg hatte ich nicht wieder mit ihm gesprochen, und immer wenn ich in der Nussecke vorbeischaute, war ich enttäuscht, wenn er nicht hinter dem Ladentisch stand. Ein paarmal hatte ich ihn in der Ferne gesehen, in seinem Kajak auf dem See, wie er sich als Silhouette gegen die Sonne abzeichnete.
»Du musst endlich was unternehmen«, sagte Lucy und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück ins Gras. »Entweder werdet ihr wieder Freunde, oder du sagst ihm, wie’s dir geht und fertig.« Noch ehe ich etwas erwidern konnte, meldete sich Lucys Handy mit einer SMS, und sie richtete sich mit einem erwartungsfrohen Lächeln auf. »Ist bestimmt Kyle«, mutmaßte sie und zog dabei genüsslich seinen Namen in die Länge. Aber als sie die Nachricht las, zog sie ein langes Gesicht. »Ist nur von Elliot.« Enttäuscht ließ sie das Telefon wieder ins Gras fallen. »Er meint, du sollst mal schnell kommen, er braucht dich.« Seit ich wieder etwas mehr unter Leute kam, hatte ich auch mein Handy wieder dabei, aber Elliot benutzte nach wie vor nur Lucys Nummer, selbst wenn es für mich war.
»Okay«, seufzte ich widerwillig, war aber schon aufgestanden und fädelte meine Zehen in die Flip-Flops. Im Grunde genommen war ich ganz dankbar, dass ich etwas Zeit bekam, um über das nachzudenken, was Lucy gesagt hatte. Auf gar keinen Fall würde ich Henry zu einem Date einladen – schließlich hatte er eine Freundin mit unerträglich perfekten Haaren –, aber vielleicht konnten wir ja wieder Freunde sein. Hatte ich denn noch irgendwas zu verlieren?
»Lass dich von Elliot bloß nicht bequatschen, länger zu bleiben«, warnte Lucy, als ich mich in Richtung Imbiss auf den Weg machte. »Wir müssen noch die Sache mit Kyle besprechen.«
Ich nickte und ging. Wahrscheinlich brauchte Elliot tatsächlich meine Hilfe, denn wenn es ihm nur um Gesellschaft gegangen wäre, hätte er garantiert Lucy gerufen. »Wo brennt’s denn?«, fragte ich, als ich durch den Seiteneingang kam und mich für einen Moment vollkommen blind fühlte, bevor sich meine Augen nach dem hellen Tageslicht draußen an die Dunkelheit angepasst hatten.
Elliot nickte mit dem Kopf zum Verkaufsfenster. »Es wurde nach dir persönlich verlangt«, sagte er. Vor dem Fenster standen Gelsey und Nora. Meine Schwester grinste, Nora wirkte
Weitere Kostenlose Bücher