Vergiss die Toten nicht
Schreibtischschublade. »Ich habe ihren Tagebucheintrag vom 9. September abgeschrieben: Ich saß auf Daddy Schoß. Er war sehr still und sah sich die Nachrichten an. Dann fing er auf einmal an zu weinen. Ich wollte loslaufen und Mama holen, aber er hat es mir nicht erlaubt. Er sagte, alles wäre in Ordnung, und dass er so traurig sei, sei unser Geheimnis. Er sei einfach nur müde und hätte einen scheußlichen Tag in der Arbeit hinter sich. Danach brachte er mich ins Bett und ging ins Bad. Ich hörte, dass er sich übergab. Bestimmt hatte er eine Darmgrippe.«
Langsam faltete Lisa das Papier zusammen und zerriss es. »Ich kenne mich mit dem Gesetz nicht aus, aber ich weiß, dass so etwas vor Gericht nicht als Beweis gilt. Wenn Sie anständige Menschen sind, werden Sie es nie in der Öffentlichkeit erwähnen.
Doch ich bin sicher, dass der Auftrag, der laut Jimmy nicht mehr rückgängig zu machen war, der Schlüssel zu der Frage ist, woher das Geld stammt und wofür es gezahlt wurde. Vielleicht sollte man das Haus, das Jimmy im letzten September renoviert hat, einmal gründlich unter die Lupe nehmen.«
Kurz darauf verabschiedeten sich die beiden Detectives. Als sie im Auto saßen, begann Sclafani: »Denkst du dasselbe wie ich?«
»Aber klar doch. Wir müssen uns die Aufzeichnungen sämtlicher Nachrichtensendungen besorgen, die am 9. September spätabends gelaufen sind. Vielleicht finden wir in einer davon eine Meldung, die mit der Schmiergeldzahlung an Jimmy in Zusammenhang steht.«
72
M
s. Nell MacDermott ist am Apparat, Sir«, meldete die Sekretärin entschuldigend. »Ich habe ihr erklärt, dass Sie nicht zu sprechen sind, aber sie besteht darauf, dass Sie ihren Anruf entgegennehmen. Was soll ich ihr sagen?«
Peter Lang zog die Augenbraue hoch, überlegte kurz und blickte dann seinen Firmenjustiziar Louis Graymore an, mit dem er gerade eine Besprechung hatte. »Stellen Sie durch«, erwiderte er.
Das Gespräch mit Nell dauerte nur kurz. Nachdem Lang aufgelegt hatte, sagte er: »Das ist aber eine Überraschung. Sie will mich sofort sehen. Was halten Sie davon, Lou?«
»Haben Sie mir nicht erzählt, dass sie Sie bei Ihrem letzten Treffen praktisch vor die Tür gesetzt hat? Was haben Sie mit ihr vereinbart?«
»Dass Sie am besten gleich kommen soll. In etwa zwanzig Minuten ist sie hier.«
»Möchten Sie, dass ich bleibe?«
»Das ist, glaube ich, nicht nötig.«
»Ich könnte sie sanft daran erinnern, dass Ihre Familie die Wahlkämpfe ihres Großvaters bereits unterstützt hat, als noch keiner von Ihnen beiden geboren war«, schlug der Anwalt vor.
»Ich denke, das wird nichts nutzen. Ich habe ihr gegenüber schon angedeutet, dass sie mit einer Spende von mir rechnen kann, falls sie für den Sitz kandidiert. So eine Abfuhr habe ich mir noch nie eingeholt.«
Graymore erhob sich. Der weißhaarige Anwalt mit den tadellosen Manieren war schon zur Zeit von Peter Längs Vater dessen wichtigster Berater in Immobilienfragen gewesen. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Peter, war es ein taktischer Fehler, ihr, was die Nutzung des Kaplan-Grundstücks angeht, keinen reinen Wein einzuschenken.« Er hielt inne. »Bei manchen Leuten kommt man mit Ehrlichkeit am weitesten.«
Lou könnte Recht haben, dachte Peter, als seine Sekretärin kurz darauf Nell in sein Büro führte. Sie war zwar leger mit einer Jeansjacke und Baumwollhosen bekleidet, strahlte aber dennoch Stil aus. Außerdem fand er sie sehr attraktiv, und es fiel ihm auf, wie sich kleine Haarsträhnchen um ihr Gesicht lockten.
Selbst seine wohlhabendsten Besucher machten für gewöhnlich eine Bemerkung über die wunderbare Aussicht oder das elegant ausgestattete Büro. Doch er hatte den Eindruck, dass Nell weder den Blick noch die Möblierung oder die teuren Bilder an den Wänden wahrnahm.
Mit einem Nicken bedeutete er seiner Sekretärin, Nel zu den Sesseln am Fenster zu begleiten, das auf den Hudson River zeigte.
»Ich muss mit Ihnen reden«, sagte Nell unvermittelt, nachdem sie sich gesetzt hatte.
»Deshalb sind Sie wohl hier, oder nicht?«, entgegnete er lächelnd.
Nel schüttelte ungeduldig den Kopf. »Peter, wir kennen einander nicht sehr gut, obwohl wir uns im Laufe der Jahre einige Male begegnet sind. Aber das spielt jetzt keine Rolle.
Mich interessiert nur, welche Verbindungen Sie zu meinem Mann unterhielten und warum Sie mich letztens, was die Nutzung des Grundstücks, das Adam den Kaplans abgekauft hat, belogen haben.«
Lou hat den Nagel
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