Vergiss die Toten nicht
ist mit Peter Lang?«, fragte Nell.
Sclafani zuckte die Achseln. »Ms. MacDermott, die Ermittlungen laufen noch.«
In gewisser Weise waren die Informationen, die sie heute erhalten hatte, beruhigend, dachte Nell, als sie die Tür hinter den beiden Detectives schloss. Andererseits gaben sie auch Grund zur Sorge. Denn Sclafani hatte mehr oder weniger deutlich ausgesprochen, dass alle weiterhin unter Verdacht standen – also auch Adam.
Am Vormittag hatte Nel bemerkt, dass ihre Topfpflanzen dringend Pflege brauchten. Sie trug sie aus Flur, Wohnzimmer und Esszimmer zusammen und brachte sie in die Küche. Rasch und geschickt entfernte sie das vertrocknete Laub, grub die Erde um und besprühte Blätter und Knospen.
Man konnte fast zusehen, wie die Pflanzen sich erholten. Nell erinnerte sich: Kurz bevor ich Adam kennen lernte, habe ich eines Tages die Pflanzen versorgt. Und dabei wurde mir klar, dass ich mich genauso fühlte wie sie. Emotional war ich ausgetrocknet. Mac und Gerti hatten gerade eine schwere Grippe überstanden. Ich dachte, dass ich mutterseelenallein sein würde, falls ihnen etwas zustoßen sollte.
Ich brauchte Liebe, so wie diese Pflanzen jetzt Wasser brauchen.
Also habe ich mich verliebt. Aber in wen?, fragte sie sich jetzt.
Vielleicht einfach nur in die Liebe… Gab es da nicht einen Schlager mit diesem Text?
Auf Winifred habe ich immer herabgesehen, überlegte Nell weiter. Ich war zwar nett zu ihr, aber ich betrachtete sie als treue, kleine Arbeitssklavin. Allmählich jedoch glaube ich, dass sie in Wirklichkeit gar nicht so brav und schüchtern war, wie sie tat. Vielleicht war sie nach Liebe ausgehungert und hat jemanden getroffen, der ihr das Gefühl vermittelte, begehrenswert zu sein.
Wer weiß, was sie alles unternommen hätte, um diesem Menschen zu gefallen – und ihn zu behalten?
Ich habe Adam zuliebe meine politische Karriere aufgegeben, dachte sie. Das war mein Opfer für die Liebe.
Nachdem sie mit den Pflanzen fertig war, begann sie jede zurück an ihren angestammten Platz zu stellen. Doch plötzlich hielt sie inne und setzte einen Blumentopf zurück auf den Küchentresen. Obwohl sie es sich nie eingestanden hatte, hatte sie die Spinnenblume eigentlich nie gemocht, die Adam ihr vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. Ohne lang zu überlegen, stellte sie sie hinaus in den Hausflur neben den Müllschlucker. Bestimmt hat der Hausmeister oder ein Handwerker Freude daran, sagte sie sich.
Die übrigen Pflanzen verteilte sie auf den Fensterbrettern, dem Couchtisch und der Truhe im Flur. Dann blieb sie auf der Schwelle des Wohnzimmers stehen und musterte den Raum.
Als Überraschung zum Hochzeitstag hatte Adam ihr Hochzeitsfoto von einem Maler kopieren lassen. Das Porträt, für Nel s Geschmack viel zu groß, hing über dem Kamin.
Nel ging hinüber und nahm es ab. Den Künstler konnte man bestenfalls durchschnittlich nennen. Ihr Lächeln auf dem Bild wirkte leblos, und auch das von Adam machte einen unnatürlichen Eindruck. Vielleicht aber war der Maler ja auch sehr begabt gewesen und hatte das eingefangen, was der Kamera entgangen war. Nell dachte über diese Möglichkeiten nach, als sie das Bild in den Abstellraum brachte. Sie vertauschte es mit einem Aquarell, welches das Dorf Adelboden darstellte. Sie hatte es vor Jahren während eines Skiurlaubs in der Schweiz erworben.
Als das Bild an der Wand hing, stellte sie sich wieder auf die Schwelle und sah sich um. Auf einmal wurde ihr klar, dass sie sämtliche Spuren von Adam aus Wohn- und Esszimmer beseitigt hatte.
Dann fielen ihr die Kleider ein, und sie beschloss, die Arbeit zu Ende zu bringen. Sie kehrte ins Gästezimmer zurück. Nach einer Viertelstunde waren Anzüge und Sakkos in Kartons verstaut. Sie verschloss und beschriftete sie.
Da bemerkte sie, dass der marineblaue Blazer noch immer über der Stuhllehne hing, und wieder kam ihr etwas ins Gedächtnis.
Im letzten Sommer war sie mit Adam zum Essen gegangen. Die Klimaanlage hatte das Restaurant in einen Kühlschrank verwandelt, und Nell trug nur ein ärmelloses Kleid.
Adam war aufgestanden und hatte ihr das Sakko über die Schultern gelegt. »Komm, schlüpf hinein«, hatte er sie gedrängt.
Aber sein Hemd hatte kurze Ärmel, und ich habe entgegnet, dass er nun frieren würde. Doch er erwiderte, solange mir warm genug sei, würde ihm das nichts ausmachen.
Diese Jacke hat er an seinem letzten Abend auf dem Heimweg getragen, dachte sie. Sie hielt sich das Revers ans
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