Vergiss die Toten nicht
wahrscheinlich aufgeschmissen. Also fahr schon, damit ich endlich die Kinder los bin.«
Sie begleitete Brenda zur Tür und kehrte dann in den schmalen Flur zurück. Die Küche war gerade groß genug für einen Tisch und Stühle und bot sonst nicht viel Bewegungsfreiheit. Den in die Wand eingebauten Schreibtisch hatte die Immobilienmaklerin als besonderen Vorzug gepriesen, als die Ryans das Haus vor vielen Jahren besichtigt hatten.
»Für diesen Preis bekommt man normalerweise keine Einbaumöbel«, hatte die Maklerin sich begeistert.
Lisa betrachtete den Stapel von Briefumschlägen auf dem Schreibtisch: Die Raten für das Haus, die Gasrechnung und die Telefonrechnung waren schon fast eine Woche überfällig. Wenn Jimmy nach Hause gekommen wäre, hätten sie sich am Wochenende zusammengesetzt und die Schecks ausgefüllt, damit keine Mahngebühren anfielen. Jetzt ist es meine Aufgabe, dachte Lisa. Etwas, womit ich mir die Zeit vertreiben kann.
Bedrückt stellte sie die Schecks aus und griff dann nach einem weiteren Stapel von Kuverts, der von einem Gummiband zusammengehalten wurde. Die Kreditkartenrechnungen – es waren so viele. In diesem Monat würde sie nur winzige Summen abzahlen können.
Dann überlegte sie, ob sie die Schreibtischschublade aufräumen sollte. Sie war breit und tief, und inzwischen sammelte sich die Werbepost darin, die sie eigentlich sofort hätte wegwerfen müssen. Da sind ja die Rabattcoupons, die wir nie eingelöst haben, dachte Lisa. Und die Bilder, die Jimmy aus Katalogen ausgerissen hat, obwohl wir es uns gar nicht leisten konnten, etwas zu bestellen. All die Sachen, die er sich kaufen wollte, falls wir irgendwann einmal zu Geld kämen.
Als sie einen Zettelhaufen herausnahm, entdeckte sie einen Umschlag, auf dem Zahlenkolonnen standen. Sie brauchte sie sich nicht näher anzusehen, denn sie wusste genau, worum es sich handelte. Wie oft hatte sie Jimmy beobachtet, wie er an seinem Schreibtisch saß, die Rechnungen addierte und angesichts der hohen Summen in Verzweiflung versank? Ein vertrauter Anblick in den letzten Jahren.
Und dann ging er in den Keller, machte sich ein paar Stunden an seiner Werkbank zu schaffen und tat so, als repariere er etwas, dachte Lisa. Er wollte mir verheimlichen, welche Sorgen er sich machte.
Doch warum war er nicht beruhigt gewesen, nachdem er einen Arbeitsplatz gefunden hatte?, grübelte sie weiter. Erneut beschäftigte Lisa diese Frage, die sie bereits seit einigen Monaten quälte. Ganz automatisch stand sie auf und ging zur Kellertür.
Als sie die Treppe hinunterstieg, versuchte sie, nicht daran zu denken, wie Jimmy sich abgemüht hatte, um den düsteren Keller in einen gemütlichen Hobbyraum und eine Werkstatt zu verwandeln.
In der Werkstatt knipste Lisa das Licht an. Die Kinder und ich haben diesen Raum fast nie betreten, sagte sie sich. Er war Jimmys Heiligtum. Außerdem befürchtete er immer, jemand könnte sich an einem scharfen Werkzeug verletzen. Traurig stellte Lisa fest, wie peinlich sauber die Werkstatt war. Ganz im Gegensatz zu sonst, wenn sich die für Jimmys augenblickliches Vorhaben nötigen Gerätschaften auf der Werkbank türmten. Nun hingen alle in Reih und Glied an der Werkzeugwand über dem Tisch. Die Sägeböcke, auf denen oft Bretter oder Pressspanplatten lagen, lehnten nebeneinander in einer Ecke am Aktenschrank.
In diesem Aktenschrank bewahrte Jimmy Steuerbescheide und andere Papiere auf, die vielleicht noch einmal gebraucht wurden.
Auch hier muss ich irgendwann alles durchsehen, dachte Lisa. Sie zog die oberste Schublade auf und betrachtete die ordentlich beschrifteten Aktendeckel. Wie erwartet, enthielten sie Einkommensteuererklärungen in chronologischer Reihenfolge.
Als sie die zweite Schublade öffnete, stellte sie fest, dass Jimmy die Trennwände entfernt hatte. Säuberlich gefaltete Pläne und Tabel en lagen hier aufeinander gestapelt. Lisa erkannte die Papiere auf Anhieb: Jimmys Projekte. Die Entwürfe zum Umbau des Kellers, für die Schlafkojen in Kyles Zimmer und den Wintergarten vor dem Wohnzimmer.
Vielleicht sind sogar die Pläne für unser Traumhaus dabei, dachte sie. Für das Haus, in dem wir eines Tages leben wollten.
Er hat sie mir vor zweieinhalb Jahren zu Weihnachten geschenkt, kurz bevor er seine Stelle verlor. Ich musste ihm genau beschreiben, wie das Haus aussehen sollte, das ich mir wünschte.
Und er hat dann alles in einen Plan eingezeichnet.
Begeistert von dieser Vorstellung, hatte Lisa ihrer
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