Vergiss die Toten nicht
Woche besuchen.«
»Ich auch«, sagte Bonnie. »Ich möchte ihr und ihrer Familie helfen, wo ich nur kann.«
20
A
m Vormittag unternahm Jed Kaplan einen Spaziergang. Wie meistens führte ihn sein Weg von der Wohnung seiner Mutter, Ecke 14. Straße und First Avenue, zum Hudson River und zur North Cove Marina, wo Adam Cauliffs Kabinenkreuzer vor Anker gelegen hatte. Nun legte Jed schon den fünften Tag hintereinander diesen Fußmarsch zurück, der für gewöhnlich eine gute Stunde dauerte, je nachdem, ob er unterwegs von irgendetwas aufgehalten wurde. Und jeden Tag hatte er mehr Spaß an diesem Zeitvertreib.
Wie schon in den letzten Tagen saß Jed da und blickte, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, über den Hudson hinaus. Dass die Cornelia II nicht mehr stolz auf den Wellen tanzte, löste in ihm ein fast sinnliches, angenehmes Prickeln aus. Genüsslich stellte er sich vor, wie Adam Cauliff in Stücke zerrissen worden war. Er dachte an Adams Entsetzen in der Sekunde, in der ihm klarwurde, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Dann war er in die Luft geflogen und ins Wasser geschleudert worden.
Jedes Mal wenn Jed diese Situation in Gedanken durchspielte, gefiel sie ihm besser.
Den ganzen Tag über war es kälter und kälter geworden.
Inzwischen ging die Sonne unter, und vom Fluss wehte ein kühler und schneidender Wind hinauf. Als Jed sich umblickte, stellte er fest, dass, anders als in den letzten vier Tagen, fast alle Tische des Straßencafés unbesetzt waren. Die Passagiere, die die Fähren aus Jersey City und Hoboken verließen, suchten rasch Schutz in den umliegenden Gebäuden. Waschlappen, dachte Jed verächtlich. Im Busch wären die aufgeschmissen.
Er beobachtete ein Kreuzfahrtschiff, das durch die Fahrrinne gelotst wurde, und fragte sich, wohin es wohl wollte. Nach Europa? Nach Südamerika? Verdammt, warum bereiste er nicht einmal selbst diese Länder? Es wurde allmählich Zeit, sich wieder auf die Socken zu machen. Seine Mutter trieb ihn in den Wahnsinn, und vermutlich war es umgekehrt genauso.
»Jed, du bist mein Sohn, und ich habe dich sehr gern«, hatte sie erst am Morgen beim Frühstück gesagt. »Aber ich halte dein ständiges Gejammer nicht mehr aus. Du musst endlich einen Schlussstrich ziehen. Ganz egal, was du glaubst – Adam Cauliff war ein sympathischer Mann. Wenigstens dachte ich das damals.
Nun ist er leider tot, also hast du keinen Grund, ihn weiter zu hassen. Mach endlich etwas aus deinem Leben. Ich gebe dir ein bisschen Geld, damit du anderswo neu anfangen kannst.«
Anfangs hatte sie ihm fünftausend Dollar angeboten. Doch während des Frühstücks gelang es ihm, sie auf
fünfundzwanzigtausend hochzuhandeln. Außerdem hatte sie ihm ihr Testament gezeigt, das ihn als Alleinerben auswies.
Bevor er sich schließlich einverstanden erklärt hatte, die Stadt zu verlassen, hatte er ihr beim Grabe seines Vaters das Versprechen abgenommen, das Testament nie zu ändern.
Cauliff hatte ihr achthunderttausend Dollar für das Anwesen bezahlt. Da sie ausgesprochen sparsam war, würde der Großteil des Geldes sicher noch vorhanden sein, wenn sie einmal den Löffel abgab.
Natürlich hatte Jed auf mehr gehofft, das Grundstück war etwa zehnmal so viel wert. Doch was konnte er noch tun, nachdem sie praktisch sein Erbe verschenkt hatte? Er zuckte die Achseln und malte sich erneut Adam Cauliffs Tod aus.
Ein Zeuge der Explosion hatte sich an Bord eines Ausflugsschiffes befunden, das gerade von der Freiheitsstatue zurückkehrte. Die Post zitierte ihn wie folgt: »Die Jacht hat sich nicht bewegt. Ich dachte, sie hätten Anker geworfen, und die Leute an Bord würden sich jetzt ein paar Drinks genehmigen.
Die See wurde unruhig. Ich weiß noch, dass ich mir überlegte, dass die Party wohl nicht mehr lange dauern würde. Und dann plötzlich hat es gekracht. So, als ob eine Atombombe hochgegangen wäre.«
Jed hatte sich diesen Bericht ausgeschnitten und bewahrte ihn nun in seiner Hemdtasche auf. Er las ihn immer wieder gern und stellte sich vor, wie Leichen und Trümmer von der Wucht der Explosion hoch in die Luft geschleudert wurden. Ein Jammer, dass er es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte.
Natürlich war es schade, dass auch noch andere ihr Leben hatten lassen müssen. Doch schließlich hatte es sich bei ihnen um Mitarbeiter von Cauliff gehandelt, also auch nur um Gesindel, wie Jed sich sagte. Wahrscheinlich waren sie an seinen Machenschaften beteiligt, alten Witwen ihre Grundstücke
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