Vergiss die Toten nicht
Jack, als er ihr ins Haus folgte.
Steif saßen sie einander in dem kleinen, aber gemütlichen Wohnzimmer gegenüber. Jack musterte aufmerksam das große Familienporträt, das in einem Rahmen über dem Sofa hing.
»Das wurde in glücklicheren Zeiten aufgenommen«, stellte er fest. »Jimmy sieht aus, als gehöre ihm die Welt. Von Kopf bis Fuß ein stolzer Ehemann und Familienvater.«
Die Worte hatten die gewünschte Wirkung. Tränen stiegen Lisa Ryan in die Augen, und sie schien sich ein wenig zu entspannen.
»Die Welt gehörte wirklich uns«, erwiderte sie leise. »Ach, Sie wissen sicher, was ich meine. Natürlich lebten wir wie die meisten Leute von Zahltag zu Zahltag, doch das störte uns nicht.
Wir hatten viel Spaß und große Pläne. Und auch Träume.«
Sie wies auf den Tisch. »Das ist ein Modell des Hauses, das Jimmy eines Tages für uns bauen wollte.«
Jack stand auf, ging hinüber und betrachtete es genau. »Sehr hübsch. Darf ich Sie Lisa nennen?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Lisa, als Sie von Jimmys Tod erfuhren, war Ihre erste Frage, ob er Selbstmord begangen hätte. Das heißt doch, dass in seinem Leben einiges im Argen lag. Was war es? Ich habe den Eindruck, dass das Problem nicht Ihre Ehe war.«
»Ja, das ist richtig.«
»Machte er sich Sorgen um seine Gesundheit?«
»Jimmy war nie krank. Wir witzelten immer, dass es Verschwendung
sei,
für
jemanden
wie
ihn
Krankenversicherungsbeiträge zu bezahlen.«
»Also hatten sie keine Eheprobleme, und mit seiner Gesundheit stand es auch bestens. Dann müssen es wohl Geldsorgen gewesen sein«, meinte Jack.
Ins Schwarze getroffen, dachte er, als er sah, wie Lisa die Hände zusammenkrampfte.
»Wenn man eine Familie hat, sammeln sich leicht die Rechnungen an. Man braucht etwas und bezahlt mit seiner Kreditkarte. Natürlich möchte man es in den nächsten Monaten abstottern. Doch dann sind plötzlich neue Autoreifen fällig, das Hausdach leckt, oder eines der Kinder muss zum Zahnarzt.« Er seufzte. »Ich kenne das, schließlich bin ich selbst Ehemann und Vater.«
»Wir haben nie Schulden gemacht«, rechtfertigte sich Lisa.
»Wenigstens nicht, bevor Jimmy seinen Job verloren hat. Und wissen Sie, warum er arbeitslos wurde?«, brach es aus ihr heraus.
»Weil er ein ehrlicher, aufrichtiger Mensch und deshalb empört darüber war, dass die Firma, bei der er arbeitete, minderwertigen Beton auf ihren Baustellen verwendete. Ja, natürlich ist ein bisschen Betrug in der Bauindustrie üblich. Doch Jimmy war der Ansicht, dass seine Firma damit Menschenleben gefährdete.
Und wegen seiner Gewissenhaftigkeit wurde er nicht nur gefeuert, sondern auch auf eine schwarze Liste gesetzt«, fuhr sie fort. »Er konnte nirgendwo eine Stelle finden. Erst dann fingen unsere finanziellen Probleme an.«
Vorsicht, ermahnte sich Lisa. Du redest zu viel. Doch Detective Sclafanis verständnisvoller Blick war Balsam für ihre Seele. Es ist erst eine Woche her, dachte sie, und schon habe ich das Bedürfnis, meine Sorgen mit einem erwachsenen Mann zu besprechen.
»Wie lange war Jimmy arbeitslos, Lisa?«
»Fast zwei Jahre. Er hat zwar hie und da eine kleine Aushilfstätigkeit bekommen, schwarz natürlich, aber das war immer nur vorübergehend und brachte nicht viel ein. Man verbreitete das Gerücht, dass er den Mund nicht halten könnte, und machte ihn damit fertig.«
»Also war er sicher ziemlich erleichtert, als Adam Cauliffs Büro anrief. Wie hat Jimmy ihn eigentlich kennen gelernt? Cauliff hatte sich ja erst vor kurzem selbstständig gemacht.«
»Jimmy hat sich überall beworben«, entgegnete Lisa.
»Und Adam Cauliff hat zufällig seinen Lebenslauf in die Hände bekommen. Seine Sekretärin hat ihn an Sam Krause weitergeleitet, und der hat ihn dann eingestellt.«
Lisa kam ein Gedanke. Natürlich, überlegte sie, so muss es gewesen sein. Jimmy hatte ihr erzählt, dass bei Krause nicht alles mit rechten Dingen zuging. Und da er für Krause arbeitete, blieb ihm nichts anderes übrig, als das stillschweigend hinzunehmen oder seinen Job zu riskieren.
»Offenbar hat Jimmy etwas sehr bedrückt, obwohl er wieder Arbeit hatte«, meinte Sclafani. »Ansonsten hätten Sie ja nicht auf Selbstmord getippt. Ich glaube, Sie wissen mehr, als Sie mir sagen, Lisa. Möchten Sie nicht darüber sprechen? Vielleicht gibt es da etwas, das Jimmy uns gerne mitteilen würde, wenn er noch könnte.«
Bestimmt war es so, überlegte Lisa weiter. Sie hörte dem Detective kaum zu. Ich bin ganz
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