Vergiss die Toten nicht
dehnbarer Begriff. Was hat er damit gemeint?, fragte sich Nell.
Samstagnacht tat Nell fast kein Auge zu. Ich fühle mich, als würde Adam jeden Moment hereinkommen, sagte sie sich.
Endlich nickte sie ein, wachte aber um sechs Uhr wieder auf.
Sonntag. Wieder ein sonniger Junimorgen. Sie duschte, zog sich an und besuchte die Sieben-Uhr-Messe.
»Mögen Adams Seele und die Seelen aller verstorbenen Gläubigen in Frieden ruhen…« Das Gebet war dasselbe wie in der vergangenen Woche. Und so würde es noch eine Weile bleiben, wenn es ihr nicht gelang, einige Antworten zu finden.
Eine Erklärung für das, was geschehen war.
Wenn Adam versucht, sich mit mir in Verbindung zu setzen, gibt es sicher einen Grund, warum er keinen Frieden findet, dachte Nell.
Sie erinnerte sich an die Lehren der Kirche. An den Curé von Ars, der als Schutzpatron der Priester galt und angeblich erstaunliche Einblicke in das Jenseits gehabt hatte, und an Padre Pio, den Mystiker.
Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll, dachte Nell.
Auf dem Heimweg von der Messe kaufte sie sich einen ofenfrischen Bagel. Ich liebe New York am Sonntagmorgen, ging es ihr durch den Kopf, als sie die Lexington Avenue entlangschlenderte. Zu dieser Tageszeit erinnert es an eine Kleinstadt, die gerade erwacht. Die Straßen sind so leer und still.
Dieser Teil Manhattans war Macs Wahlbezirk gewesen. Seine Straßen. Wird er eines Tages auch mein Wahlbezirk sein?, fragte sie sich, und ihr Herz schlug schneller.
Ohne Adam brauchte sie nicht mehr darüber nachzugrübeln, ob es richtig war, zu kandidieren.
Sie schämte sich für die Erleichterung, die sie kurz überkam, die Erkenntnis, dass sich wenigstens ein Problem von selbst gelöst hatte.
40
P
eter Lang verbrachte das Wochenende allein in Southampton.
Die vielen Einladungen seiner Freunde zum Golf, zu Cocktails oder zum Abendessen lehnte er ab, denn im Augenblick konnte er nur noch an die Lösung der anstehenden Probleme denken. Er musste eine Möglichkeit finden, sein neues Bauvorhaben zu finanzieren. Außerdem brauchte er dazu dringend das Grundstück, das Nell MacDermotts Mann Mrs. Kaplan abgekauft hatte.
Ich habe mir nicht die geringsten Chancen ausgerechnet, dass die Behörden die Vandermeer-Villa von der Liste der denkmalgeschützten Gebäude streichen könnten, sagte er sich und schalt sich wegen seines Leichtsinns. Und als es schließlich aussah, als würde es doch passieren, war es zu spät: Cauliff ist mir zuvorgekommen und hat Ada Kaplan das Grundstück abgeschwatzt.
Ohne dieses Grundstück war es zwar möglich, ein zweckmäßiges Gebäude zu errichten, allerdings würde es keine architektonische Meisterleistung werden. Wenn er es aber bekam, würde dank seiner Bemühungen ein Bauwerk entstehen, das Manhattans Skyline einschneidend verändern würde.
Bis jetzt trug keines von Peter Längs Bauvorhaben seinen Namen. Er hatte sich Zeit damit gelassen, da er fest damit rechnete, eines Tages den besten Standort und einen fähigen Architekten zu finden, sodass das Ergebnis diese Ehre verdiente.
Das Gebäude würde drei Generationen der Familie Lang ein Denkmal setzen.
Wie befürchtet, hatte Adam Cauliff sein Angebot, ihm das Grundstück der Kaplans abzukaufen, klipp und klar abgelehnt.
Nur über seine Leiche werde er es herausrücken. Und auf diese Weise hatte er ihm die Geschäftspartnerschaft praktisch aufgezwungen.
Nun, es sieht ganz so aus, als hätte er das ein wenig zu wörtlich genommen, dachte Peter mit einem finsteren Lächeln.
Jetzt musste er nur noch einen Weg finden, sich an Cauliffs Witwe heranzumachen und sie zum Verkauf zu überreden.
Inzwischen hatte er Erkundigungen über sie eingezogen und wusste, dass sie – zumindest in der nächsten Zeit – nicht aus finanziellen Gründen würde verkaufen müssen. Offenbar war sie ziemlich vermögend und von ihrem verstorbenen Mann unabhängig. Doch Lang hatte noch einen Trumpf im Ärmel, der ganz sicher zum Erfolg führen würde, wenn er ihn richtig ausspielte.
Es war ein offenes Geheimnis, wie enttäuscht Cornelius MacDermott gewesen war, dass seine Enkelin nicht für seinen Sitz im Kongress kandidierte, als er sich vor zwei Jahren zur Ruhe gesetzt hatte.
Sie wäre eine fähige Politikerin, dachte Peter Lang, als er am späten Sonntagnachmittag den von Blumenrabatten gesäumten Pfad entlangschlenderte, der von seinem Haus zum Meer führte.
Ein Jammer, dass sie nicht schon damals kandidiert hat. Gorman ist ein Versager, und es wird
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