Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vergiss die Toten nicht

Vergiss die Toten nicht

Titel: Vergiss die Toten nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
wir alle sind ein wenig abergläubisch. Insgeheim glauben wir, dass die Götter für eine Zeit zufrieden sein und uns verschonen werden, wenn jemand anderem etwas Schreckliches passiert ist.«
    Um neun Uhr war sie mit der Hausarbeit fertig. Eigentlich hätte sie noch die vielen Beileidsbriefe beantworten müssen, doch sie brachte es nicht über sich.
    Viele alte Freunde, die inzwischen weggezogen waren, hatten ihr geschrieben, wie entsetzt und erschüttert sie seien. Einer der schönsten Briefe stammte von einem ehemaligen Nachbarsjungen aus ihrer und Jimmys Kindheit, der inzwischen Filmmogul in Hollywood war.
    »Ich weiß noch, wie Jimmy und ich in der siebten Klasse waren«, hieß es in dem Schreiben. »Wir mussten ein Referat in Physik halten. Inzwischen bin ich selbst Vater und fest davon überzeugt, dass Lehrer solche Aufgaben nur erteilen, um den Familienfrieden zu stören. Am Vorabend des Tages, an dem das Referat fällig war, hatte ich immer noch keine Zeile zu Papier gebracht. Jimmy war wie üblich längst fertig und bot mir seine Hilfe an. Er kam zu mir, bastelte eine Brücke aus Lego und schrieb dann mit mir einen Aufsatz, der erklärte, warum man beim Brückenbau die Schwingungen einberechnen muss. Er war einfach ein wunderbarer Freund.«
    Und fast hätte ich seinen guten Ruf ruiniert, dachte Lisa, als sie sich an Detective Sclafanis Besuch vor ein paar Tagen erinnerte.
    Doch das Problem mit dem Geld würde sich durch Totschweigen nicht lösen. Sie musste es zurückgeben. Denn sie war sich ganz sicher, dass Jimmy das Geld nicht freiwillig angenommen hatte.
    Gewiss hatte man ihn dazu gezwungen. Eine andere Erklärung gab es nicht. Man hatte Jimmy vor die Wahl gestellt, Missstände auf den Baustellen zu übersehen oder seinen Job zu verlieren.
    Und indem man ihm das Geld aufnötigte, machte man ihn zum Komplizen.
    Lisa kannte Nell MacDermott zwar nicht persönlich, hielt sie aber für vertrauenswürdig. Außerdem konnte Nel ihr vielleicht erklären, woran Jimmy gerade gearbeitet hatte. Schließlich hatte die Sekretärin ihres Mannes Jimmy zum Vorstellungsgespräch eingeladen und die Bewerbungsunterlagen an Sam Krause weitergeleitet. Und was zuerst wie ein Akt der Nächstenliebe wirkte, hatte letztlich zu Jimmys Tod geführt.
    Das Geld in den Pappkartons hing sicher damit zusammen.
    Eigentlich hätte Lisa es dringend gebraucht, um die Rechnungen zu bezahlen und Lebensmittel zu kaufen, aber sie wusste, dass sie keinen Penny davon ausgeben durfte. Es war beschmutzt, Jimmys Blut klebte daran.
    Um zehn Uhr versuchte Lisa, Nell MacDermott anzurufen. Nell wohnte an der Ostseite von Manhattan, irgendwo zwischen der 70. und der 79. Straße, doch Lisa musste feststellen, dass sie offenbar eine Geheimnummer hatte.
    Lisa fiel ein, dass Nel s Großvater, der ehemalige Kongressabgeordnete Cornelius MacDermott, inzwischen eine Beraterfirma besaß. Sie besorgte sich die Nummer bei der Auskunft und wählte. Vielleicht würde sie auf diese Weise Nells Telefonnummer bekommen.
    Sie wurde sofort mit einer sympathisch klingenden Dame verbunden, die sich als Liz Hanley, Mr. MacDermotts Sekretärin, vorstellte.
    Lisa kam sofort auf den Punkt. »Ich heiße Lisa Ryan und bin Jimmy Ryans Witwe. Ich muss mit Nel MacDermott sprechen.«
    Liz Hanley bat sie, sich einen Augenblick zu gedulden.
    Zwei Minuten später war sie wieder in der Leitung. »Wenn Sie sich beeilen, können Sie Nell unter der Nummer 212-555-6784
    erreichen. Sie erwartet Ihren Anruf.«
    Lisa bedankte sich, legte auf und wählte sofort die Nummer.
    Schon nach dem ersten Läuten wurde abgehoben. Fünf Minuten später, um zwanzig nach zehn, war Lisa Ryan unterwegs zu einem Treffen mit Nell MacDermott, der anderen Frau, die durch die Explosion auf der Jacht zur Witwe geworden war.

    43
    In seinen achtunddreißig Lebensjahren war Jed Kaplan schon so oft mit dem Gesetz in Konflikt geraten, dass er genau wusste, wenn er beschattet wurde. Inzwischen hatte er einen Riecher dafür, ob ihn jemand verfolgte.
    Ich erkenne einen Bullen auf drei Kilometer Entfernung, brummte er vor sich hin, als er am Montagmorgen wütend das Haus verließ und zu Fuß in Richtung Süden marschierte.
    Hoffentlich hast du bequeme Schuhe an, mein Junge, denn wir machen jetzt einen hübschen, langen Spaziergang.
    Jed wollte weg aus New York. Er hielt es nicht mehr aus, bei seiner Mutter zu wohnen. Beim Aufwachen vor einer Stunde hatte er sich nach einer Nacht auf der miserablen Matratze des Klappsofas

Weitere Kostenlose Bücher