Vergiss die Toten nicht
Anscheinend war Cauliff nicht unbedingt ein Traumprinz. Ich frage mich, wer sonst noch etwas davon gehabt haben könnte, dass seine Jacht nicht mehr in den Hafen zurückgekehrt ist.«
»Okay. Dann also los«, sagte Brennan. »Zuerst werde ich ein paar telefonische Erkundigungen über Cauliff einziehen.«
Eine Stunde später steckte Brennan den Kopf in Sclafanis Büro. »Ich habe einen Kollegen in North Dakota angerufen und von ihm ein paar Vorabinfos bekommen. Offenbar war Cauliff bei seinem ehemaligen Arbeitgeber etwa so beliebt wie ein Ameisenschwarm bei einem Picknick. Dieser Hinweis könnte uns weiterbringen.«
56
A
ls Nel neben Dan Minor durch den Central Park joggte, stellte sie fest, dass sie seine Gegenwart als beruhigend empfand. Er strahlte Kraft und Durchsetzungsvermögen aus, was sich auch an seinem entschlossen vorgeschobenen Kiefer und seinen gleichmäßigen Schritten bemerkbar machte. Als sie einmal ins Stolpern geriet, umfasste er beherzt ihren Arm und verhinderte, dass sie stürzte.
Sie liefen nach Norden bis zum Wasserspeicher, umrundeten dann den Park und kehrten dann zur 72. Straße an der Ostseite von Manhattan zurück.
Atemlos blieb Nell stehen. »Hier verlasse ich Sie«, verkündete sie.
Nach dieser zweiten Zufallsbegegnung wollte Dan sie auf keinen Fall ziehen lassen, ohne ihr vorher ihre Adresse und Telefonnummer entlockt zu haben. »Ich begleite Sie nach Hause«, schlug er deshalb prompt vor.
Unterwegs bemerkte er beiläufig: »Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, Nell, aber ich kriege allmählich Hunger. Allerdings sehe ich bestimmt um einiges vorzeigbarer aus, wenn ich dusche und saubere Sachen anziehe. Was halten Sie davon, wenn wir in etwa einer Stunde zusammen essen gehen?«
»Oh, ich glaube nicht…«
»Oder haben Sie schon etwas anderes vor?«, fiel er ihr ins Wort.
»Nein.«
»Vergessen Sie nicht, dass ich Arzt bin. Auch wenn Sie meinen, dass Sie keinen Hunger haben, müssen Sie etwas essen.«
Nachdem er noch eine Weile all seine Überredungskünste eingesetzt hatte, verabredeten sie schließlich ein Treffen im Il Tinello in der 56. Straße an der Westseite von Manhattan.
»Lieber erst in anderthalb Stunden«, sagte Nell. »Außer alle Ampeln springen bei Ihrem Anblick automatisch auf Grün um.«
Nach ihrer Rückkehr aus Adams Büro hatte Nell einige Stunden damit
verbracht,
seine
Sachen
zu
sortieren
und
zusammenzufalten. Nun waren Bett und Sessel im Gästezimmer mit Stapeln von Socken, Krawatten und Unterwäsche bedeckt.
Seine Anzüge, Hosen und Sakkos hatte sie dort in den Schrank gehängt.
Überflüssige Arbeit, dachte sie, während sie, die Kleiderbügel in der Hand, zwischen den Zimmern hin- und herlief. Doch sie hatte sich fest vorgenommen, Adams Sachen aus dem Schlafzimmer zu entfernen, und wollte ihr Vorhaben auch zu Ende führen.
Seine inzwischen leere Kommode hatte sie vom Hausmeister in den Kel er schaffen lassen. Dann hatte sie die Möbel im Schlafzimmer so umgestellt wie vor ihrer Hochzeit.
Als sie nun aus dem Park kam und im Schlafzimmer rasch aus Shorts und T-Shirt schlüpfte, erschien ihr der Raum vertrauter als zuvor. Nun konnte sie sich hier wieder geborgen fühlen.
Wahrscheinlich hat mich der Anblick seiner Kommode und seiner Kleider im Schrank ständig an seinen plötzlichen Tod erinnert, überlegte sie. Ich hatte keine Gelegenheit, mich von ihm zu verabschieden. Außerdem musste ich dauernd an unseren letzten Streit denken, daran, dass er wütend aus dem Haus und für immer aus meinem Leben gestürmt ist.
Da all diese Erinnerungsstücke nun fort waren, wusste sie, dass sie endlich würde schlafen können, wenn sie heute Abend aus dem Restaurant zurückkehrte.
Nachdem sie rasch geduscht hatte, blickte sie in den nun geräumig wirkenden Wandschrank. Sie entschied sich für einen grünen Hosenanzug aus Seide, den sie im letzten Jahr am Ende der Saison gekauft und inzwischen ganz vergessen hatte. Erst beim Umräumen des Schrankes war sie wieder darauf gestoßen, und sie hatte sich erinnert, wie gut er ihr damals beim Anprobieren gefallen hatte.
Und das Beste daran war, dass Adam, dem immer aufgefallen war, was sie trug, das Stück nie gesehen hatte.
Als Nell im Il Tinello eintraf, wartete Dan Minor schon an einem Tisch. Allerdings war er so in Gedanken versunken, dass er sie erst wahrnahm, als sie dicht vor ihm stand. Ihn beschäftigt etwas, sagte sich Nell. Während der Oberkellner ihr den Stuhl zurechtrückte, sprang Dan auf und
Weitere Kostenlose Bücher