Vergiss es Baby - Roman
hatte sich entschlossen, den Vormittag zu verbummeln und sich einen Friseurbesuch zu gönnen. Nun hockte sie im »Salon Annika«, wo man seit Generationen den Neuhausener Damen und Herren zu Diensten war. Es roch nach Kaffee, Shampoo und jeder Menge Kölnisch Wasser. Zeitweilig wehte eine Wolke von Chemikalien heran, die Dauerwellen in schütterem Haar befestigten, und brannte Marlene in der Nase. Der Geruch erinnerte sie an die Desinfektionsmittel in den Fluren von Krankenhäusern und Seniorenheimen. Das passte gut. Ein Aufenthalt im »Salon Annika« und ein bunter Abend in einem Seniorenzent rum hatten vieles gemeinsam. Auch wenn sich hier noch niemand darum gekümmert hatte, bunte Luftballons aufzuhängen.
Abwechselnd starrte Marlene in den Spiegel und in die »Car&Style«. Die Chefin widmete sich ihr höchstpersönlich und brachte das widerspenstige Haupthaar in die nunmehr fünfundzwanzigste Position, während sie irgendetwas von »vielleicht mal was Neues probieren« und »Mut zu Experimenten« plapperte.
Was dachte die sich? Marlene besuchte doch nicht freiwillig eine Seniorenveranstaltung, um nett über ihre Haare zu plaudern. Dann hätte sie ja gleich einen dieser gestylten Salons in der City aufsuchen können. Doch sie mochte diese Hair-Lounges in Weiß, Silber und Chrom nicht. Zwei Stunden im angeschlossenen Café zu gefälligem Club-Mix-Sound an einem Caffè Latte zu schlürfen, bis endlich einer dieser Coiffeure um sie herumscharwenzelte, war für Marlene schlicht Zeitverschwendung. Nein. Sie ging zum Friseur, um in Ruhe gelassen zu werden. Sollten die dort mit ihr anstellen, was sie wollten. Ihr war alles recht, solange ihre Haare nachher genauso aussahen wie immer.
Gelangweilt nahm sie eine weitere Zeitschrift von der Ablage. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie den Herrn zu ihrer Linken, dem gerade ein durch Wasserstoffperoxyd entstelltes junges Lehrmädchen eine Kopfmassage verpasste. Er hatte die Augen geschlossen und lächelte zufrieden. Warum auch nicht. In Salons mit etwas anderen Geschäftszeiten wäre er für diese Art der Behandlung so einige Scheinchen losgeworden. Als seinem Mund ein wohliger Seufzer entfuhr, zog sie es vor, ihre Nase ein wenig tiefer in ihre Zeitschrift zu versenken. Es war die »Fairplay«, wie sie angewidert feststellte, die als trendiges Lifestylemagazin daherkam und schon mal Sportler als Models ablichtete. Ein interessantes Experiment, wie Marlene befand, als sie, nun doch interessiert, die Hochglanzfotos einer Modestrecke betrachtete. Wow! Nie hätte sie gedacht, dass Männer, die einen Beruf daraus gemacht hatten, Wettkämpfe für sich zu entscheiden, derart gut aussehen konnten. Der Kerl, irgendein schwedischer Nationalspieler, der in Unterwäsche seinen Waschbrettbauch
und ein verwegenes Lächeln zur Schau stellte, sah wirklich rattenscharf aus! Genauso wie derjenige, der, wenn auch in adrettem Trikot, mit einem Band um den Kopf und einem Ball am Fuß über den Rasen preschte. Eine blonde Mähne verdeckte sein klassisches Profil nur teilweise und seine Augen … Die Augen! Angesichts der Größe des Fotos war ihre Farbe nur schwer zu erkennen. Sie hätte aber schwören können, sie waren grün.
»Das kann doch wohl nicht wahr sein!« Sie schnellte in die Höhe, dabei hatte noch niemand zur Schere gegriffen. Ihr Stuhlnachbar sah erschrocken zu ihr herüber. Der lange Plastikumhang, den man ihr um die Schultern geschlungen hatte, und die Rollen des Sessels gingen eine halsbrecherische Liaison ein, so dass sie rückwärts taumelte und auf dem Hintern landete.
Im Salon hätte man eine Fliege husten hören können, wenn es denn eine gegeben hätte. Selbst die Trockenhauben schienen das Volumen ihres Baustellensounds ein wenig herunterzufahren. Unter mitleidigem Getuschel der Anwesenden rappelte Marlene sich auf, riss sich hektisch den Umhang vom Hals und floh aus dem Salon. Im Laufschritt steuerte sie den nächsten Zeitungskiosk an, wo sie sich mit sämtlichen Druckerzeugnissen der Woche eindeckte. Mit zwei prall gefüllten Plastiktüten hetzte sie nach Hause und verschanzte sich in ihrem Zimmer. Die Kundentermine am Nachmittag sagte sie ab.
Es gab keine Zeitschrift, keine Tageszeitung, kein Klatschblatt, das sich nicht in irgendeiner Weise mit Valentin Balakev - so hieß er also, ihr Mann! - beschäftigte. Der Kerl war definitiv das Thema der Woche, auch wenn ihn, wenn sie das
richtig verstand, bis vor Kurzem kaum jemand wahrgenommen hatte. Doch das war nun
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