Vergiss es Baby - Roman
kümmerte. Die romantische Geste, sie zu überraschen, bevor sie sich nachher mit ihm beim Thailänder zu einem frühen Abendessen treffen würde, passte zu ihm. So gut glaubte sie ihn inzwischen zu kennen. Auch wenn es vieles an ihm gab, das sie noch zu entdecken hoffte.
Neugierig öffnete sie den blassblauen Umschlag, auf dem sie partout kein Logo der Telekom entdecken konnte, und las die dazugehörige Karte. Verdammt! Der Strauß war von Karl! Mit wenigen Zeilen unterbreitete er ihr seinen Wunsch, es möge zwischen ihnen wieder so werden, wie es gewesen war. Da konnte er lange warten. Sie würde sein Anliegen zu ignorieren wissen. Mit der Blumenpracht war das schon schwieriger. Sie hatte keine Vase für einen Strauß dieser Dimension, also ließ sie kurzerhand Wasser in einen Putzeimer laufen und stellte ihn hinein. Nicht ganz stilecht. Aber das war Karls Schuld. Eine Schachtel Pralinen, Blätterkrokant oder Champagnertrüffel wäre einfacher unterzubringen gewesen. Sie stellte den Eimer in eine Ecke der Küche. Sollte er zwischen achtlos zur Seite gelegtem Werkzeug, Farbeimern und Pappkartons eine Aura von Lebendigkeit und Schönheit ausstrahlen, die der Käufer dieser Pracht nur allzu schmerzlich vermissen ließ. Doch es war müßig, darüber nachzudenken. Karl gehörte der Vergangenheit an.
Lieber kümmerte sie sich um ihr neues Image einer in Stilfragen versierten Karrierefrau. Nur wie sollte sie das anstellen, wenn sie schon an der Frage, welcher Lippenstift am besten zu ihrem neuen kirschroten Kostüm passte, zu scheitern drohte? Sollte sie Shocking Red, Velvet Glamour oder doch lieber Purple Rose auftragen? Oder einen matten Braunton? Mama könnte ihr helfen. Doch die würde ihr nur einen Vortrag darüber halten, dass man den Grundstock seines Lippenstiftsortiments nicht bei Lidl oder im Drogeriemarkt erstand. Blieb noch die freundliche Kassiererin bei Schlecker, die ihr zur Signalwirkung knalliger Rottöne geraten hatte.
Zeit genug hatte sie. Es war gerade fünf Uhr.
Als Marlene aus der Haustür wankte, fiel Mr. X fast die Zigarette aus der Hand. Amüsiert beobachtete er ihre Bemühungen, auf zehn Zentimeter hohen Absätzen einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ein leichter Wind wehte und ließ den Pashminaschal, den sie sich auf Anraten der Verkäuferin bei Hertie geleistet hatte, dramatisch flattern. Prompt setzte leichter Nieselregen ein, und sie fühlte sich wie Anne Bonny auf hoher See. Tapfer stemmte sie sich gegen die Sturmflut, die sie von Bord zu fegen drohte. Dabei waren die neuen Schuhe wirklich klasse. Wenn man nicht vorhatte, in ihnen herumzulaufen.
Sie musste den geheimnisvollen Typen, der bei Wind und Wetter vor ihrer Tür stand, unbedingt einmal auf eine Tasse Kaffee hereinbitten, sollte sie es je übers Herz bringen, Öttkens Gebäckspezialitäten zu teilen.
Noch immer schwankend näherte sie sich ihm.
»Hören Sie!« Sie stand nun direkt vor ihm und sah ihm offen ins Gesicht. Erst jetzt fiel ihr auf, wie jung der Kerl war.
Wenn sie sich nicht täuschte, dürfte er höchstens zwanzig sein. Und wie ein ausgebuffter Presseprofi kam er ihr auch nicht vor. Sicher ein Praktikant, den man längst in der Redaktion vermisste. Wer sollte sonst Kaffee kochen?
»Sie brauchen nicht länger im Regen zu stehen. Herr Balekev steht morgen im Marriott Hotel für Ihre Fragen zur Verfügung.«
Der Kerl starrte sie mit offenem Mund an und sagte gar nichts.
»Er gibt um elf Uhr eine Pressekonferenz. Dort erfahren Sie alles, was Sie wissen wollen.«
Mit einer Drehung, bei der sie sich beinahe an ihn hätte klammern müssen, stolzierte sie davon.
Bei ihrer Rückkehr empfing Marlene ohrenbetäubender Lärm. Laute Musik und Gegröle aus der Küche wetteiferten mit Baustellengeräuschen im Wohnzimmer um die Vorherrschaft. Na prima. Ausgerechnet heute! Sie wollte früh ins Bett, damit sie morgen, an ihrem großen Tag, fit war. Außerdem hatte Valentin sie versetzt, was ihre Laune nicht gerade besserte. In dem Moment, als sie die Küchentür öffnete, wusste sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Ein paar Kerle, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, quetschten sich um den kleinen Küchentisch, der vor Flaschen, Geschirr und Pizzakartons überquoll. Auf dem Boden verstreute Pappschachteln dienten als Ablage für Bierflaschen, Gläser, Kaffeetassen und CD-Hüllen. Auf der Anrichte neben der Spüle stand ein Notebook. Auf dem Display war eine Fußballszene zu erkennen, in der ein mageres
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