Vergiss mein nicht
sie alles fotografiert hatte, was ihr vor die Linse gekommen war. Später hatte sie die Fotos bearbeitet und aus mehreren Bildern Collagen gemacht. Besonders an ein Foto erinnerte sie sich genau und ging deswegen den Stapel durch, bis sie es gefunden hatte. Mit einer Rasierklinge hatte sie einen hauchdünnen Schnitt gemacht und nur die Oberfläche eingeritzt, ohne die Rückseite zu verletzen. So hatte sie Hank aus dem Bild entfernt und an seiner Stelle ein Bild von Bonnie, ihrem Golden Retriever, eingeklebt.
» Bonnie«, schluchzte Lena auf und weinte jetzt ungehemmt. Ebendieser war einer der Gründe, warum Lena so gut wie nie Alkohol trank. Der Hund war inzwischen zehn Jahre tot, und hier saß sie und heulte, als sei er gestern gestorben.
Lena stieg aus dem Auto und nahm die Schnapsflaschen gleich mit, denn sie wollte sie unbedingt loswerden, weil sie sehr wohl wusste, dass sie sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken würde, wenn sie den Whiskey behielt. Bei den ersten Schritten wurde ihr bewusst, dass sie schon dichter dran war, als sie gedacht hatte. Ihre Füße schienen nicht mehr ihr zu gehören, und mehrere Male stolperte sie, ohne dass es ein Hindernis gegeben hätte. Der Laden war schon seit Stunden geschlossen, aber sie schaute durch die Fenster, um sicherzugehen, dass sie nicht doch jemand über den Parkplatz taumeln sah. Lena schrammte mit der Handfläche an der Häuserwand entlang, als sie um das Gebäude ging, die beiden Flaschen in der anderen Hand. Als sie hinter dem Laden angelangt war und die Wand losließ, geriet sie ins Taumeln. Irgendwie schaffte sie es aber, sich mit einer Hand abzufangen und zu verhindern, dass sie mit dem Gesicht voran auf den Asphalt stürzte.
» Scheiße«, fluchte sie. Den Schnitt in ihrer Handfläche sah sie mehr, als dass sie ihn spürte. Sie richtete sich auf, entschlossener als je zuvor, den Alkohol zu vernichten. Sie würde dann ihren Rausch im Auto ausschlafen und nach Hause fahren, wenn sie wieder klar war.
Rückwärts wankend schleuderte sie die fast leere Flasche in den Müllcontainer, und ein erlösendes Klirren war zu hören, als sie innen an der Stahlwand zu Bruch ging. Lena warf die andere Flasche ebenfalls hinein. Es polterte ein paar Mal, aber die Flasche war nicht zerbrochen. Kurz erwog sie, in den Container zu klettern und sie wieder herauszuholen, aber sie konnte sich gerade noch zurückhalten.
Hinter dem Gebäude befand sich eine Baumgruppe, auf die Lena zusteuerte. Es kam ihr immer noch so vor, als seien ihre Füße eingeschlafen. Sie beugte sich vor und steckte sich einen Finger in den Hals. Der Alkohol stieg bitter brennend auf, und von diesem Geschmack wurde ihr übler, als sie es je für möglich gehalten hätte. Am Ende lag sie auf den Knien und würgte nur noch Galle aus, so wie neulich bei Hank im Auto.
Hank, dachte Lena und rappelte sich wieder auf. Sie war so wütend auf ihn, dass sie kurz erwog, nach Reece zu fahren, zum Hut, und ihn zur Rede zu stellen. Er hatte vor vier Monaten versprochen, so lange bei Lena zu bleiben, wie sie ihn brauchte. Scheiße, und wo war er jetzt? Wahrscheinlich bei irgendeinem beschissenen AA -Treffen, wo er darüber quatschte, was für Sorgen er sich um sie machte; wo er eben nur darüber quatschte, dass er ihr beistehen wollte, statt tatsächlich bei ihr zu sein und ihr beizustehen.
Der Celica sprang gehorsam schnurrend an, und Lena gab Gas. Kurz dachte sie daran, die Bremse zu lösen und geradeaus durch die Schaufensterscheibe vom Piggly Wiggly zu brettern. Dieser Impuls überraschte sie, kam aber nicht ganz unerwartet. Ein schleichendes Gefühl der Wertlosigkeit ergriff Besitz von ihr, und sie kämpfte nicht dagegen an. Trotz ihres Versuchs, den Alkohol wieder loszuwerden, lief ihr Gehirn immer noch auf Hochtouren. Alle Blockaden schienen gelöst, sodass ihr Verstand sie Dinge denken ließ, die sie ganz und gar nicht denken wollte.
Sie dachte nämlich an ihn.
Die Heimfahrt war riskant, denn Lena fuhr ständig Schlangenlinien. Beinahe wäre sie in den Schuppen hinter ihrem Haus gekracht, und die Bremsen kreischten, als sie sie in letzter Sekunde voll durchtrat. Sie blieb im Wagen sitzen und betrachtete das dunkle Haus. Hank hatte nicht einmal daran gedacht, das Licht auf der Veranda hinter dem Haus für sie anzuschalten.
Lena öffnete das Handschuhfach. Sie holte ihren Dienstrevolver hervor und lud Patronen in die Trommel. Das Geräusch des Bolzens klang in ihren Ohren wie ein beruhigendes Versprechen,
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