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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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und Lena stellte fest, dass sie die Waffe jetzt in einem anderen Licht sah. Sie starrte fasziniert auf das schwarze Metall, ja, roch sogar am Griff. Bevor sie sichs versah, hatte sie die Mündung im Mund und den Finger am Abzug.
    Lena war einmal Zeugin gewesen, als eine junge Frau genau das getan hatte. Sie hatte sich die Waffe in den Mund gesteckt und ohne Zögern abgedrückt, weil sie darin anscheinend die einzige Möglichkeit gesehen hatte, bestimmte Erinnerungen aus dem Kopf zu löschen. Der Nachhall dieses einen Kopfschusses dröhnte noch immer in Lenas Ohren, aber am stärksten im Gedächtnis geblieben war ihr, dass Hirnmasse und Knochensplitter tatsächlich im Rigips der Wand hinter der Frau stecken geblieben waren.
    Lena saß im Wagen, atmete langsam und fühlte das kalte Metall an ihren Lippen. Sie presste die Zunge gegen den Lauf und spielte in Gedanken die Situation durch. Wer würde sie finden? Würde Hank früher als gedacht nach Hause kommen? Brad, vermutete sie, denn es war verabredet, dass er sie morgens zur Arbeit abholte. Wie würde er reagieren, wenn er Lena so sah? Was würde es mit Brad machen, Lena mit weggeschossenem Hinterkopf in ihrem Wagen zu finden? Wäre er robust genug, das zu verdauen? Würde Brad Stephens sein Leben weiterleben und seinem Job nachgehen können, nachdem er Lena so vorgefunden haben würde?
    » Nein«, sagte Lena. Sie nahm die Patronen aus der Trommel und schloss alles zusammen ins Handschuhfach.
    Schnell stieg sie aus dem Auto, umrundete das Haus und eilte im Laufschritt die Stufen der Veranda hinauf. Ihre Hände blieben ruhig, als sie die Tür aufschloss und Licht in der Küche machte. Dann machte sie einen Rundgang durchs ganze Haus und schaltete dabei überall das Licht an. Auf der Treppe nahm sie jeweils zwei Stufen auf einmal und machte oben ebenfalls Licht. Das ganze Haus war nun hell erleuchtet.
    Jetzt konnte jeder durch die Fenster hineinsehen und sie beobachten. Also wiederholte Lena die Aktion in umgekehrter Reihenfolge, lief die Treppe hinunter und schaltete überall das Licht wieder aus. Sie hätte auch die Vorhänge zuziehen und die Jalousien schließen können, aber die Bewegung tat ihr gut und brachte ihren Herzschlag auf Touren. Sie hatte seit Monaten kein Fitnesstraining mehr gemacht, aber ihre Muskeln hatten die Bewegungsabläufe gespeichert.
    Als sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hätte man mit den Schmerzmitteln, die Lena von den Ärzten mitgegeben wurden, ohne weiteres ein Pferd umbringen können. Sie wollten Lena mit Medikamenten wohl so vollpumpen wie nur menschenverträglich, damit sie möglichst gar nichts mehr fühlte. Wahrscheinlich hatten sie angenommen, es sei leichter für sie, zugedröhnt zu leben, als darüber zu grübeln, was mit ihr geschehen war. Der Psychiater, zu dem Lena noch im Krankenhaus geschickt worden war, hatte ihr sogar Xanax gegen ihre Angstzustände geben wollen.
    Lena rannte wieder hinauf und öffnete das Medizinschränkchen im Bad. Neben den üblichen Dingen gab es da auch noch ein halb volles Fläschchen Darvocet sowie ein volles Fläschchen Flexeril. Das Darvocet war gegen Schmerzen, aber Flexeril war ein besonders starkes Mittel zur Muskelentspannung, und es hatte Lena sofort umgehauen, als sie es zum ersten Mal genommen hatte. Sehr bald schon hatte sie es wieder abgesetzt, es war ihr wichtiger gewesen, klar denken zu können, als keine Schmerzen zu spüren.
    Lena las die Etiketten auf den Fläschchen und übersah dabei geflissentlich die warnenden Hinweise, diese Medikamente nur nach einer Mahlzeit einzunehmen und nach der Einnahme zu beachten, dass unter anderem auch Reaktionsvermögen und Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt wurden. Es waren noch mindestens zwanzig Darvocet vorhanden und gut doppelt so viele Flexeril. Sie drehte den Hahn auf und ließ das kalte Wasser eine Weile laufen. Ihre Hände waren ganz ruhig, als sie den Becher aus seinem Halter nahm und fast bis zum Rand füllte.
    » Also schön…«, murmelte sie bei dem Blick auf das klare Wasser und dachte, sie müsste etwas Wichtiges oder Treffendes über ihr Leben sagen. Aber es war ja niemand da, der ihr zuhörte, und es kam ihr albern vor, in dieser Situation Selbstgespräche zu führen. An Gott hatte Lena nie geglaubt, und deshalb erwartete sie auch nicht, Sibyl im Jenseits wiederzusehen. Für sie würde es keine himmlischen Gefilde geben. Nicht dass Lena sich in den religiösen Lehren besonders gut auskannte, aber sie war doch ziemlich

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