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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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aufgegeben, denn sie ging in die Bar zurück, ohne Lena noch eines Blickes zu würdigen.
    Lena saß auf dem leeren Parkplatz des Piggly-Wiggly-Supermarkts von Grant und trank in kleinen Schlucken billigen Whiskey direkt aus der Flasche. Der Alkohol brannte inzwischen nicht mehr so übel in der Kehle wie am Anfang, denn die war jetzt so betäubt, dass sie kaum mehr etwas spürte. Auf dem Sitz neben ihr stand eine zweite Flasche, und die würde sie wahrscheinlich auch noch leeren, bevor die Nacht vorüber war. Lena hatte beschlossen, auf diesem leeren Parkplatz in ihrem Auto sitzen zu bleiben, um sich darüber klar zu werden, was in ihrem Leben schieflief. Bis zu einem bestimmten Grad hatte Nan ja Recht: Lena musste über das Geschehene hinwegkommen, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie mit einem Idioten wie David Fine redete. Sie musste sich zusammenreißen und aufhören, sich unentwegt und wie besessen mit dieser dämlichen Geschichte zu befassen. Sie musste loslassen und anfangen, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. Sie brauchte, dachte sie, jetzt einen Abend des Selbstmitleids, an dem sie endlich die Trauer durchlitt und am Ende die Vergangenheit Vergangenheit sein ließ.
    Sie hörte sich kurze Ausschnitte aus Sibyls Musikkassetten an, schob eine nach der anderen in den Recorder, um festzustellen, was darauf war. Sie hätte sie beschriften sollen, fand aber keinen Stift. Außerdem erschien es ihr unpassend, auf Sibyls Kassetten zu schreiben, auch wenn Sibyl nichts dagegen gehabt hätte. Ein paar Kassetten waren darunter, die noch ihre ursprünglichen Labels trugen, meistens von Sängerinnen aus Atlanta: Melanie Hammett, die Indigo Girls, ein, zwei Namen, mit denen Lena nichts anzufangen wusste. Sie ließ die letzte Kassette zu Ende laufen, die auf der einen Seite mit einer Zusammenstellung klassischer Musikstücke und auf der anderen mit frühen Songs der Pretenders bespielt war. Dann warf sie sie zu den anderen auf den Stapel.
    Lena griff nach hinten und zog am letzten Karton auf der Rückbank. Er war schwerer als die anderen, und als sie es schließlich schaffte, ihn nach vorne zu hieven, ergoss sich eine Flut von Fotos auf den Beifahrersitz. Die meisten Bilder zeigten Greg Mitchell und Lena in verschiedenen Phasen ihrer gemeinsamen Jahre. Jede Menge Strandfotos, aber auch Schnappschüsse von dem Ausflug, den sie nach Chattanooga unternommen hatten, um sich das Aquarium anzuschauen. Lena musste sich eine Träne fortzwinkern und rief sich ins Gedächtnis zurück, wie es an jenem Tag gewesen war, als sie in der Schlange gestanden hatten, um Eintrittskarten zu kaufen. Der Wind vom Tennessee River war so stark gewesen, dass Greg sich hinter sie gestellt hatte, um sie zu wärmen. Sie hatte es genossen, wie ihr Körper seine Arme spürte, die ihre Taille umschlangen, und auch wie er sein Kinn auf ihre Schulter gestützt hatte. Es war der einzige Augenblick ihres bewussten Lebens gewesen, in dem sie wahrhaft zufrieden gewesen war. Dann bewegte sich die Schlange voran, Greg hatte einen Schritt zurückgemacht, irgendwas übers Wetter gesagt oder eine Meldung aus den Nachrichten kommentiert, und Lena hatte absichtlich einen Streit vom Zaun gebrochen, obwohl es nicht den geringsten Grund dafür gegeben hatte.
    Lena blätterte einen weiteren Stapel Bilder durch und trank in genau bemessenen Abständen von ihrem Whiskey. Sie war bereits mehr als nur betrunken, aber es tat immer noch weh. Beim Betrachten der Fotos fragte sie sich, wie es je eine Zeit hatte geben können, in der sie sich die Gesellschaft eines Mannes wünschte oder gar mit ihm intim werden wollte. Mochte sie noch so sehr gewütet haben, als Greg sie verließ, am liebsten hätte sie ihn wieder zurückgehabt.
    Lena fand das Bild, von dem Nan ihr erzählt hatte. Sibyl sah tatsächlich höchst unglücklich aus, obgleich sie sich bemühte, für die Kamera ein Lächeln aufzusetzen. Sie waren damals beide ungefähr sieben Jahre alt gewesen. In dem Alter hatten sie so gut wie identisch ausgesehen, abgesehen von dem Vorderzahn, den Sibyl sich ausgeschlagen hatte, als sie auf der Veranda gestolpert war. Der nachgewachsene Zahn war schief, aber das verlieh Sibyl etwas Charaktervolles. Hatte Hank ihr jedenfalls gesagt.
    Lena musste schmunzeln, als sie einen Stapel Bilder entdeckte, die von einem Gummiband zusammengehalten wurden. Zu ihrem fünfzehnten Geburtstag hatte Hank ihr eine Instamatic geschenkt, und Lena hatte an einem Tag zwei Filme verschossen, weil

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