Vergiss mein nicht
darauf, dass er seine Antibiotika bekommt, bis sie aufgebraucht sind.«
Sie wollte der Mutter ihr Kind zurückgeben, hielt aber inne. Sara hob Sams Hemd an und schaute prüfend erst auf seine Brust und dann auf seinen Rücken.
» Fehlt ihm etwas?«
Sara verneinte das mit einem Kopfschütteln. » Alles bestens«, informierte sie die Frau, und so war es auch. Es gab keinen Grund, etwa Misshandlungen zu vermuten. Aber das hatte Sara ja auch bei Jenny Weaver gedacht.
Sara ging zur Schiebetür und öffnete sie. Molly Stoddard, ihre Krankenschwester, schrieb gerade in der Schwesternstation eine Laboranfrage. Sara wartete, bis sie damit fertig war, und diktierte dann der Schwester Diagnose und Anweisungen für Sams Behandlung.
» Sorgen Sie dafür, dass ich den Fall im Auge behalte«, bat Sara.
Molly, die noch immer schrieb, nickte nur. » Geht es Ihnen heute gut?«
Sara überlegte und kam dann zu dem Schluss, dass es ihr nicht gut ging. Sie war gereizt, und zwar seit sie am Nachmittag zuvor mit Lena aneinandergeraten war. Sie hatte ein schlechtes Gewissen und schämte sich, weil sie die Beherrschung verloren hatte. Lena hatte nur ihren Job gemacht, egal was Sara davon halten mochte. Es war unprofessionell, die junge Polizistin zur Rede zu stellen, und das auch noch vor Jeffrey. Obendrein war das, was Sara gesagt hatte, nicht nur unentschuldbar gewesen, sondern einfach gemein und aggressiv. Eigentlich war es nicht ihr Stil, andere anzugreifen, und je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie, dass sie Lena heftig attackiert hatte. Und gerade sie hätte es doch besser wissen müssen.
» Hallo«, machte Molly auf sich aufmerksam. » Sara?«
» Ja«, sagte Sara. » Oh, tut mir leid. Ich war nur gerade…« Sie deutete mit einem Kopfnicken auf ihr Büro, damit sie sich nicht auf dem Gang unterhalten mussten.
Molly ließ Sara vorangehen und schob die Tür hinter sich zu. Sie war eine stämmige Person mit einem Gesicht, das man durchaus hübsch nennen konnte. Im Gegensatz zu Sara war die Krankenschwester stets adrett gekleidet und hatte ihre weiße Uniform tadellos gestärkt. Der einzige Schmuck, den Molly trug, war eine dünne silberne Halskette, die sie jedoch immer unter den Kragen ihrer Schwesterntracht schob. Molly anzustellen war das Klügste gewesen, was Sara je getan hatte, aber manchmal packte sie das Bedürfnis, der Frau ihre Haube vom Kopf zu reißen oder ihre perfekte Tracht ganz zufällig mit Tinte zu bespritzen.
» Sie haben noch ungefähr fünf Minuten bis zu Ihrem nächsten Termin«, mahnte Molly. » Was ist denn bloß?«
Sara lehnte sich gegen die Wand und vergrub die Hände in den Taschen ihres weißen Kittels. » Ist uns etwas entgangen?«, fragte sie und verbesserte sich: » Ist mir etwas entgangen?«
» Weaver?«, fragte Molly, obwohl Sara an ihrer Reaktion merkte, dass sie bereits Bescheid wusste. » Ich habe mir diese Frage auch schon gestellt, und die Antwort lautet: Ich weiß es nicht.«
» Wer würde so etwas tun?«, fragte Sara, und dann fiel ihr ein, dass Molly nicht die geringste Ahnung haben konnte, wovon sie sprach. Die konkreten Ergebnisse der Obduktion waren nicht bekannt, und obwohl Sara volles Vertrauen zu Molly hatte, fühlte sie sich nicht befugt, ihr die Einzelheiten mitzuteilen. Wahrscheinlich würde Molly sie auch gar nicht hören wollen.
» Kids sind schwer zu durchschauen«, erklärte Molly.
» Ich fühle mich verantwortlich«, gestand Sara der Krankenschwester. » Ich hätte mehr für sie da sein sollen. Oder ihr zumindest mehr Beachtung schenken.«
» Dreißig bis vierzig Kinder kommen täglich zu uns in die Sprechstunde, und das an sechs Tagen der Woche.«
» So, wie Sie das sagen, klingt es nach Fließbandabfertigung.«
Molly antwortete achselzuckend: » Vielleicht ist es tatsächlich ein wenig so. Wir tun, was wir können. Wir kümmern uns um sie, wir verschreiben ihnen etwas, wir hören uns ihre Probleme an. Was können wir denn sonst noch machen?«
»› Schnell verpflastert und raus aufs Pflaster‹«, murmelte Sara, die sich an diesen Spruch aus den Tagen in der Notaufnahme erinnerte.
Molly sagte: » Das ist nun mal unser Job.«
» Ich bin aber nicht hierher zurückgegangen, um so zu arbeiten«, sagte Sara. » Ich wollte etwas ändern.«
» Und genau das tun Sie auch, Sara«, versicherte Molly ihr. Sie trat näher, legte Sara die Hand auf den Arm. » Hören Sie, Kleines, ich weiß, was Sie durchmachen, und ich kann Ihnen nur sagen, ich erlebe
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