Vergiss mein nicht
rechten Unterschenkel verloren. Später verlor er sein linkes Auge durch Krebs und eine Niere durch den Schuss eines unzufriedenen Klienten. Diese Verluste schienen Buddy nicht geschwächt, sondern eher noch gestärkt zu haben. Wie ein hungriger Hund um einen Knochen konnte er kämpfen, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hatte. Andererseits war Buddy aber auch ein logisch denkender Mensch und konnte, im Gegensatz zu den meisten Anwälten, richtig von falsch unterscheiden. Er hatte Jeffrey schon bei so mancher Gelegenheit geholfen. Jeffrey ging mit der Hoffnung in das Verhör von Mark Patterson, dass auch diese eine solche Gelegenheit sein würde.
» Chief«, sagte David Fine, » ich möchte mich bei Ihnen dafür bedanken, dass ich bei dieser Vernehmung anwesend sein darf. Der Gesundheitszustand von Marks Mutter hat sich sehr verschlechtert, und die Eltern wünschen, dass ich sie vertrete.«
Jeffrey nickte und verzichtete auf den Hinweis, dass er letztlich gar keine Wahl hatte. Welcher Verbrechen Mark sich auch schuldig gemacht hatte, er war noch minderjährig und nicht strafmündig. Es wäre Sache des Gerichts, diesen Status aufzuheben, wenn es denn je dazu kommen sollte.
Fine fragte: » Hat man etwas von seiner Schwester gehört?«
» Nein«, sagte Jeffrey. Er musterte Mark und versuchte sich auszumalen, was in dem Sechzehnjährigen vor sich ging. Er sah fürchterlich aus: Sein Auge wurde von Minute zu Minute dicker und farbenprächtiger, seine Lippen waren in der Mitte aufgeplatzt und seine Augen so blutunterlaufen wie Lenas. Der orangefarbene Gefängnisoverall, den man ihm verpasst hatte, ließ den Jungen noch bleicher erscheinen, als er es ohnehin schon war. Er wirkte außerdem auch kleiner, sozusagen durch die Umstände gestutzt. Er ließ die Schultern hängen und sah recht schmächtig aus, sogar neben Buddy Conford, der auch nicht gerade groß war.
Jeffrey sprach den Jungen an.
Dessen Lippen bewegten sich, aber er blieb stumm und blickte unverwandt auf den Tisch, als wolle er nicht aufsehen und sich der Situation stellen, in der er sich befand. Der Junge hatte etwas Klägliches an sich, das beinahe Jeffreys Mitleid weckte. Sara hatte Recht. Egal, was Mark getan hatte, er war noch ein Kind.
Buddy blätterte in den Unterlagen zu Marks Fall. » Was hat sich der Junge also zuschulden kommen lassen, Chief?«
» Körperverletzung«, antwortete Jeffrey, der seinen Blick immer noch fest auf Mark geheftet hatte. » Er hat Sara ins Gesicht geschlagen.«
Buddy sah seinen Mandanten stirnrunzelnd an. » Sara Linton?«, fragte er. Verblüffung ließ seine Stimme höher werden. Buddy war in Grant aufgewachsen, und wie die meisten Einheimischen hielt er Sara wegen ihrer Arbeit in der Kinderklinik fast schon für eine Heilige.
Unter dem Tisch klirrte es. Mark trug Handschellen, und Jeffrey nahm an, dass die Kette zwischen den Handschellen auf Marks wippenden Oberschenkeln schepperte. Dieses Geräusch kannte Jeffrey schon von diversen Verhören.
» Vor ungefähr zehn Augenzeugen«, sagte Jeffrey, das Geräusch übertönend. » Er hat zudem seiner Schwester Körperverletzung angedroht.«
» A-ha«, kommentierte Buddy, während er die Papiere zu einem Stapel ordnete. » Diese Verletzungen in seinem Gesicht, hatte er die schon vor seiner Festnahme, oder sind sie erst danach entstanden?«
Lena schnauzte » vorher« und ließ ein lautloses, aber durchaus zu verstehendes » … du Idiot!« folgen.
Buddy warf ihr einen tadelnden Blick zu. » Wird das durch Zeugen untermauert?«
» Wir haben Fotos gemacht«, meldete sich Jeffrey und zog die Polaroids, die Lena ihm gegeben hatte, aus einem Umschlag. Er schob sie über den Tisch. Mark zuckte bei dieser Bewegung zusammen, und wieder wurde Jeffrey gewahr, wie dünnhäutig der Junge zu sein schien.
Buddy ging die Polas durch und sah Mark erst wieder an, als er damit fertig war. » Wer hat ihm das angetan?«, fragte er Jeffrey.
» Sagen Sie es uns«, forderte Jeffrey den Anwalt auf.
Mark blickte weiterhin stur zu Boden. Die Kette zwischen den Handschellen klirrte wieder.
Buddy schob die Fotos zu Jeffrey zurück. » Sieht nicht so aus, als würde er mit uns reden wollen.«
Lena sagte: » Was ist denn los, Mark?«
Anscheinend verblüfft darüber, dass Lena ihn ansprach, hob Mark den Blick. Das klirrende Geräusch endete abrupt, und für ihn schien die Zeit stillzustehen, während er darauf wartete, dass Lena weiterredete.
Lenas Stimme klang sanfter, als Jeffrey es je
Weitere Kostenlose Bücher