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vergissdeinnicht

vergissdeinnicht

Titel: vergissdeinnicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cat Clarke
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musste ihn mit einem meiner Ringe getroffen haben – und auch noch direkt an der Stelle, an der seine Narbe war. Als ich das Blut sah, kam ich wieder zu mir. Ich hörte auf zu schreien und sah zu, wie es auf seine Oberlippe lief, dort eine Sekunde hängenblieb, um dann seinen Weg in die Falte seines geschlossenen Munds zu suchen.
    Ich lockerte meinen Griff an seinem Hemd, aber ich trat keinen Schritt zurück. Ich sah in Ethans Augen und erwartete, dort Schock und Wut zu sehen. Aber wir reden hier von Ethan, und der zeigte nichts davon. Seine schönen Augen waren ungetrübt, und er begegnete meinem Blick so ruhig, wie man es sich nur vorstellen kann. Keiner von uns sagte ein Wort, aber plötzlich wurde mir etwas klar, etwas, das ich mit absoluter Sicherheit wusste:
    Ethan war kein bisschen davon überrascht, was gerade passiert war. Er hatte gewusst , dass ich ihn angreifen würde.
    Was zur Hölle ging hier vor? Warum hatte er gesagt, was er gesagt hatte, wenn er doch wusste, dass ich so reagieren würde? Und viel wichtiger: Woher hatte er nur wissen können, wie ich reagieren würde?
    Zum ersten Mal seit Wochen hatte ich Angst. Ich wich vor Ethan zurück und schüttelte den Kopf. Ich stolperte zu meinem Bett. Nicht mal für eine Sekunde ließ ich ihn aus den Augen, solche Angst hatte ich. Seine Augen folgten mir. Es gab kein Entkommen. Es war, als könnte er durch mich hindurchsehen, als würde ich zu nichts verblassen. Ich rollte mich in einer Ecke des Betts zusammen, so weit von ihm entfernt, wie es nur möglich war in diesem verrückten weißen Raum … in diesem Gefängnis.
    Ich schloss die Augen. Aber es half nichts. Ich konnte immer noch spüren , wie er mich ansah. Ich vergrub meinen Kopf in den Händen und drückte die Handflächen so fest auf meine Augen, dass ich Sternchen sah.
    Nach ein oder zwei Minuten sagte ich leise mit dumpfer Stimme: »Wer bist du?« Es kam keine Antwort. Stille im Raum, bis auf mein unruhiges Atmen. Ich wusste, dass er mich gehört hatte. Er musste mich gehört haben. Ich sah vorsichtig hoch. Ethan hatte sein Oberteil hochgezogen, um mit dem unteren Saum das Blut von seinem Mund zu tupfen. Mein Blick flatterte zu seinem perfekt geformten Bauch. Ich war ganz benommen.
    »Jetzt sag schon! Verdammte Scheiße, wer bist du?«
    Ethan ließ den Saum seines Oberteils los. Eine Menge Blut war nun darauf. Ich war überrascht und ein bisschen angewidert von dem, was ich angerichtet hatte. Er machte den Mund auf und wollte etwas sagen, aber dann hielt er inne. Er setzte aufs Neue an. »Du weißt, wer ich bin. Du kennst mich.«
    Ich war zu verdutzt, um etwas zu sagen. Plötzlich traf mich eine Welle der Erschöpfung, und ich musste ein Gähnen unterdrücken. Ich hatte so viele Fragen, aber was brachte es. Ich fühlte mich geschlagen.
    Ethan sagte: »Du bist müde, Grace. Du solltest dich ausruhen.« Ich nickte und vergrub mich unter der Decke. Ich hörte, wie sich die Tür öffnete und wieder schloss, und ich murmelte vor mich hin: »Ich weiß nicht , wer du bist. Ich weiß einen Scheiß.« Und dann … also, ich weiß, dass sich das jetzt verrückt anhört, aber wenigstens gelten hier mildernde Umstände …
    Ich hörte Ethans Stimme in meinem Kopf. Ich bildete sie mir nicht ein – ich hörte sie. Und er war definitiv nicht mehr im Zimmer – ich sah nach. Ich schwöre bei meinem Leben, dass ich ihn hörte. Und das sagte Ethan-in-meinem-Kopf zu seiner Verteidigung:
    »Du weißt so viel mehr, als du denkst. Du musst dich nur erinnern.«
    * * *
    Was zur Hölle?!
    Ich verliere den Verstand. Das ist die einzige Erklärung. Ich denke mal, der Verstand kann nur eine gewisse Belastung ertragen, bevor er zusammenbricht. Die Puzzleteile fallen auseinander. Ich sollte dankbar sein, dass ich so lange bei Verstand geblieben bin. Wahrscheinlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bevor ich auf dem Boden sitze, vor- und zurückschaukele, meinen Kopf gegen die Wand schlage und anfange zu sabbern.
    Ich kann nicht länger darüber nachdenken, verrückt zu werden – es macht mich verrückt. Aber ich kann auch nicht aufhören,an das zu denken, was ich gehört habe. Ich weiß also mehr, als ich denke, oder wie? Und wo soll sich diese Information bitte schön verstecken? Hinter Spinnweben in einem abgelegenen Winkel meines verworrenen Hirns? Vielleicht direkt bei diesem verschissenen Song, an den ich mich nicht erinnern kann.
    Ich muss mich nur erinnern. Wie in diesem Gedicht zur Guy Fawkes Night: Remember,

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