Vergissmichnicht
das Gefühl, dass ihre Hände beschmutzt waren. Beschmutzt und klebrig. Es folgte das Aufstehen aus dem Bett, was nicht einfach war, da sie die Hände weit von sich streckte, um nur ja nichts mit diesen klebrigen, blutigen Händen anzufassen. Dann kam der Moment, in dem ihre nackten Füße den kalten, glatten Krankenhausboden berührten. Das leise Tapsen ihrer Sohlen auf dem PVC-Boden. Das Öffnen der Badezimmer-Schiebetür. Mit dem Ellbogen hakte sie sich in den großen, silberfarbenen Griff ein und schob die Türe nach rechts. Und dann endlich das Waschbecken. Waschen und desinfizieren. Waschen und desinfizieren. Waschen und desinfizieren. Immer und immer und immer wieder.
Doch es half nichts. So oft sie den Waschvorgang auch wiederholte, es wurde einfach nicht besser. Sie hatte das Gefühl, als sei das Blut tief in die Poren ihrer Haut eingedrungen. Als sei es in ihren eigenen Blutkreislauf gelangt. Unabänderlich.
Es klopfte erneut. »Herein?«, rief Alexandra und blickte zur Tür.
Diese öffnete sich und eine große, schlanke Gestalt schob sich herein. Ole Strobehn.
Alexandra lächelte ihm entgegen. »Wo haben Sie denn Ihre charmante Kollegin gelassen?«
Ole grinste. »Den Drachen? Eingesperrt«, konterte er. »Nein, nein, wir haben uns die Ermittlungen aufgeteilt. Darf ich mich setzen?«
»Natürlich.« Alexandra setzte sich ebenfalls im Bett auf, wozu sie die Fernbedienung für das automatische Verstellen der Rückenlehne betätigte. Mit der freien Hand deutete sie auf einen der braun bezogenen Besucherstühle, die an dem blumenübersäten Tisch standen.
»Sind die alle für Sie?«, staunte Ole.
»Ja«, Alexandra lächelte und strich sich eine ihrer wirren roten Haarlocken aus der Stirn. »Kollegen und Leser haben sie mir geschickt. Mein Kollege Manfred Meinwald hat ja über den Unglücksfall und meine Rolle darin berichtet, das haben Sie bestimmt gelesen.«
Ole nickte und sah sie unverwandt an. »Ja. Und ehrlich gesagt, bin ich nicht ganz glücklich darüber, dass es jetzt schon solch einen riesigen Medienrummel gibt, das könnte die Ermittlungen behindern. Aber selbst wenn Sie nicht direkt betroffen gewesen wären, hätte man das in einer kleinen Stadt wie Überlingen wohl nicht lange geheim halten können.«
Alexandra lächelte. »Garantiert nicht«, bestätigte sie.
»Was machen Sie denn jetzt mit all den Blumen?«, fragte Ole und Alexandra stellte fest, dass er ihr immer direkt in die Augen sah, wenn er mit ihr sprach. Unglaubliche Aufmerksamkeit und Präsenz lagen in seinem Blick, als würde er jede ihrer Regungen in sich aufsaugen und reflektieren. Alexandra ging dieser Blick durch und durch. In seinen Augen lagen Wärme und ein echtes Interesse, daher war ihr sein Blick angenehm, auch wenn er sie etwas verunsicherte. Sie konnte sich aber vorstellen, dass sich Verbrecher unter diesem intensiven, fast röntgenartigen Blick sehr unwohl fühlen könnten. Man hatte das Gefühl, als blickte Ole Strobehn seinem Gegenüber direkt in die Seele.
»Ich werde wohl ein paar hierlassen, wenn ich nachher nach Hause gehe. Die Schwestern freuen sich sicher und ich habe gar nicht so viel Platz«, antwortete Alexandra, ihm nun ihrerseits unverwandt in die Augen blickend.
Dass einer der Blumensträuße von Ralf, ihrem Freund, war, verschwieg sie. Warum, wusste sie selbst nicht so genau. Vielleicht, weil sie sich über sein selbstgerechtes Verhalten geärgert hatte. Ganz die Gestalt gewordene Empörung, hatte er an ihrem Bett gesessen, sich ungemein aufgeplustert und ihr erst mal eine gehörige Standpauke gehalten. Er habe ja schon immer gewusst, dass sie einem irrsinnigen Beruf nachgehe, hatte er geschnaubt und den Blumenstrauß aufs Bett gepfeffert. Statt zu fragen, wie es ihr gehe, ob sie ihn brauche und er etwas für sie tun könne, statt sie nach dem Schreck einfach fest in die Arme zu nehmen und für sie da zu sein, hatte er ihr klargemacht, dass er von ihr erwarte, dass sie ihren Job an den Nagel hänge. Er brauche, hatte Ralf gesagt, ohnehin eine fähige Bürokraft in seinem Kfz-Betrieb. Alexandra hatte die Augen geschlossen und ihn gebeten, einfach still zu sein, woraufhin er beleidigt und türenknallend abdampfte. Wie schon einmal, an dem Abend, an dem Elisabeth Meierle ermordet worden war.
»Wollen Sie denn wirklich schon nach Hause?«, riss Ole sie aus ihren Gedanken und zog den Stuhl neben ihr Bett. »Eine Nacht mehr zur Sicherheit täte Ihnen bestimmt gut.«
»Das ist nicht nötig, wirklich«,
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