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Vergissmichnicht

Vergissmichnicht

Titel: Vergissmichnicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Maria Bast
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heute Abend die Einladung zu dieser Vernissage«, sagte Jeannette in Richtung Fußboden. »Madame legt großen Wert auf ihre Garderobe und benötigt deshalb viel Zeit zur Vorbereitung. Pardon, Monsieur, aber Sie müssen bereits in einer Stunde aufbrechen. Madame würde nie …«
    »Verflucht, Sie haben recht«, brummte Charles, verärgert darüber, dass sich seine so plausible Erklärung soeben in Luft aufgelöst hatte. Er lehnte sich in seinem dicken, dunkelbraunen Ledersessel zurück und verschränkte die Hände über dem Wohlstandsbauch. Es gab ein Problem, eine Lösung musste her, darin war er gut. Deshalb hatte er es beruflich auch so weit gebracht. Worin er hingegen überhaupt nicht gut war, war der Umgang mit seiner Frau. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen, hatten sich auseinandergelebt, seit vielen Jahren schon. Er spürte ihre unendliche, dunkle Einsamkeit, aber er konnte sie nicht daraus befreien. Er war ja selbst so schrecklich einsam. Er fand keinen Zugang mehr zu ihr und die Verantwortung für seine immer größer werdende und gut florierende Feinkost-Firma und die zahlreichen Mitarbeiter lastete schwer auf seinen Schultern. Zumal die Wirtschaftskrise auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen war. Sicher, er war noch weit von dem Punkt entfernt, an dem er sich um ihre finanzielle Situation hätte Sorgen machen müssen. Sie konnten es sich nach wie vor leisten, auf sehr großem Fuße zu leben. Aber wenn der Geldbeutel nicht mehr so locker saß, kauften die Leute eben lieber im Billigsupermarkt als bei ›Gourmet Didier‹.
    Charles Didier spürte die Blicke seines Chauffeurs auf sich. Selbst Jeannette, das merkte er deutlich, hatte es gewagt, den Blick vom Boden zu heben und ihn anzusehen. Auch er hob langsam den Kopf und blickte seine Mitarbeiter an. »Sie haben recht, Jeannette«, wiederholte er. »Meine Frau würde ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen nie vernachlässigen. Und schon gar nicht ihre Toilette. Da stimmt etwas ganz und gar nicht. Wir müssen zur Polizei gehen.«
    »Die Herren von der Polizei wären jetzt da, Monsieur«, meldete Jeannette wenig später.
    Charles fuhr hoch. »Haben Sie die Polizei etwa gerufen ? Damit habe ich Sie nicht beauftragt. Wenn man eine Vermisstenanzeige aufzugeben hat, dann geht man aufs Revier und bittet die Polizei nicht her«, schimpfte er. Jeannette zuckte zusammen. Solche harschen Töne war sie von ihrem ansonsten eher sehr gemütlichen und äußerst gutmütigen Chef gar nicht gewohnt. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Jeannette war sehr sensibel und musste wegen jeder Kleinigkeit weinen. Mit Kritik konnte sie ganz und gar nicht umgehen.
    Charles, in seinem Aufruhr, bemerkte die Seelennot seines Dienstmädchens nicht. »Außerdem – was macht das für einen Eindruck, wenn die Nachbarn sehen, dass wir die Polizei im Haus haben«, wetterte er, außer sich vor Sorge um seine Frau, weiter. Stirnrunzelnd stand er auf und sah aus dem Fenster, von dem aus er die Einfahrt überblicken konnte. »Wie ich sehe, haben sie auch noch draußen vor dem Tor geparkt. Dann haben die Nachbarn noch mehr zu tratschen.« Charles lenkte sich durch die Schimpferei über Nichtigkeiten von den rasenden Sorgen um Marlene ab und er wusste das. Eigentlich war es ihm völlig gleich, was die Nachbarn dachten.
    »Verzeihen Sie, Monsieur, aber ich habe nicht …«, setzte Jeannette an.
    Charles winkte ärgerlich ab. »Schon gut, schon gut«, sagte er. »Bitten Sie die Herren in den Salon.«
    Als Charles den Salon im Erdgeschoss des Hauses betrat, standen die beiden Polizisten bereits neben dem Schreibtisch, die Mützen hielten sie in ihren Händen. Charles eilte auf sie zu. »Bonjour, meine Herren, es ist mir äußerst unangenehm, ich hatte keinerlei Anweisung gegeben, Sie zu rufen. Ich wollte mich soeben selbst auf den Weg zu Ihnen machen.«
    Die beiden Polizisten wechselten einen verblüfften Blick. »Dann wissen Sie also schon …?«, setzte der ältere Polizist, Monsieur Dupont, an.
    Charles erschrak und kombinierte blitzschnell. Jeannette hatte die Polizei gar nicht gerufen. So etwas in der Richtung hatte sie ihm auch zu sagen versucht, erinnerte er sich. Aber er hatte in seiner Erregung gar nicht zugehört. Die Polizisten waren von selbst gekommen, weil sie ihm etwas mitzuteilen hatten. Etwas Schlimmes. Sonst würden sie nicht die Mützen in ihren Händen halten.
    Er machte schnell zwei Schritte auf sie zu. »Meine Frau …«, setzte er mit rauer Stimme

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