Vergissmichnicht
machen konnten. Hatten Sie eine gute Heimreise?«
»Na ja, es ging so«, sagte Beate Gruber leise.
»Nun, Sie sind nicht hier, um Small Talk zu machen, Frau Gruber«, sagte Ole und hielt ihr die Türe zu seinem Büro auf. »Setzen Sie sich doch.«
Beate Gruber nahm auf einem der grauen Plastikstühle Platz, die auf der Besucherseite von Oles Schreibtisch standen, stellte ordentlich die Beine nebeneinander und platzierte ihre Handtasche exakt auf der Mitte ihrer Knie.
Ole ging um den Schreibtisch herum und setzte sich auf seinen Stuhl. Er schickte ein Dankesgebet zum Himmel, dass Monja Grundel sich momentan nicht im Büro befand, und hoffte, dass sie noch eine ganze Weile wegbleiben würde. Sie würde nur dumm dazwischenquatschen.
»Frau Gruber«, begann er ernst und versuchte, ihr direkt in die Augen zu sehen. Was nicht möglich war, denn Beate Grubers Blick war unstet, schließlich senkte sie ihn und starrte auf ihre Handtasche. Das allerdings war nicht ungewöhnlich, wie Ole aus Erfahrung wusste. Die unbescholtensten Bürger wurden plötzlich nervös, wenn sie der Polizei gegenübersaßen. Und diese Frau war wahrlich aus keinem angenehmen Grund hier. »Wie wir Ihnen bereits mitgeteilt haben, wurde Ihr Mann verhaftet. Er steht unter Mordverdacht«, sagte Ole.
Beate Gruber nahm ihre Brille ab, kramte umständlich ein zerknülltes Taschentuch aus ihrer Handtasche und begann, die Gläser zu polieren. »Mein Mann hat diese Frau nicht ermordet. Man will ihm das anhängen«, erklärte sie aufblickend und in ihrem farblosen Gesicht, das irgendwie zerknittert wirkte, stand pure Verzweiflung.
»Woher wollen Sie das denn so genau wissen?«, fragte Ole freundlich.
»Er tut so was nicht. Mein Wolfgang doch nicht. Außerdem kannte er diese Frau gar nicht. Und gerade jetzt würde er sich nie etwas zuschulden kommen lassen … Ich meine damit nicht, dass er zu einem anderen Zeitpunkt imstande wäre, einen Menschen umzubringen«, beeilte sie sich hinzuzufügen und eine feine Röte überzog ihr Gesicht. »Es ist nur so, der Wahlkampf, er lief so gut. Wir waren fast am Ziel unserer Träume. Das würde er sich niemals kaputt machen.« Sie schenkte Ole einen letzten scheuen Blick und starrte dann wieder auf ihre Handtasche, wie ein Schulmädchen, das dem Lehrer einen Streich gespielt hatte und nun beim Rektor saß und auf sein Urteil wartete.
»Eins müssen Sie mir erklären, Frau Gruber«, setzte Ole sanft die Befragung fort. »Wenn der Wahlkampf für Sie und Ihren Mann so wichtig ist, warum fahren Sie dann, ausgerechnet in der heißen Phase, mit Ihren Freundinnen auf einen Wellnessurlaub?«
»Ich … wir fahren jedes Jahr um diese Zeit«, stammelte Beate Gruber und zog erneut ihre Brille von der Nase, um sie eifrig zu polieren. »Es ist mir sehr wichtig, wissen Sie? Und die anderen, nun … sie hätten vermutlich kein Verständnis gehabt, wenn ich abgesagt hätte. Niemand sagt die Wellnesstage je ab. Das … das hätte wirklich Ärger gegeben.«
»Ja, aber ist denn der Wahlkampf nicht wichtiger?«
»Schon, aber … aber ich sollte ja auch gut aussehen, zum Wahlkampf«, brachte Beate schüchtern heraus. »Richtig losgegangen wäre es ja erst morgen, bei der OB-Diskussionsrunde. Und da wäre ich ja ohnehin wieder da gewesen.« Mutig hob sie den Kopf und sah Ole flehend an. »Bitte, Herr Hauptkommissar. Sie müssen ihn freilassen. Er muss an dieser Diskussion teilnehmen. Sonst war alles umsonst. Und Sie müssen dafür sorgen, dass die Zeitungen nichts schreiben. Bitte, ich flehe Sie an.«
»Was meinen Sie mit ›alles war umsonst‹?«, fragte Ole und registrierte, dass Beate Gruber nun, da sie die Brille wieder auf der Nase hatte, ständig am Henkel ihrer Handtasche nestelte. Ihre Hände waren gerötet und rau. Sie sahen aus wie die Hände einer Bäuerin und nicht wie die einer Frau aus gutem Hause und der Gattin eines OB-Kandidaten. Und das nach mehreren Tagen Wellnessurlaub. Die Frau tat ihm leid und er konnte sie sich auch ganz und gar nicht an der Seite eines Mannes wie Gruber vorstellen.
»Na, der ganze Wahlkampf, all das Geld, das wir investiert haben«, antwortete Beate Gruber.
»Wenn Sie mir Beweise bringen, dass Ihr Mann unschuldig ist, dann werden wir ihn gerne freilassen«, sagte Ole mit ausgesuchter Höflichkeit.
»Ich kann Ihnen auch sagen, wer der Mörder ist«, stieß Beate Gruber plötzlich heftig hervor.
»Ach ja?«, fragte Ole überrascht.
»Unsere Putzfrau.« Beate Gruber sprach’s, presste
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