Vergissmichnicht
daraufhin die Lippen fest aufeinander und starrte wieder auf die Henkel ihrer Handtasche.
Die Putzfrau. Das hatte Wolfgang Gruber auch schon behauptet. Gut möglich, dass die beiden sich abgesprochen hatten, was anhand der Telefonverbindungen leicht zu überprüfen wäre.
»Wie kommen Sie zu dieser Anschuldigung?«, wollte er wissen und ließ Beate Gruber nicht aus den Augen.
»Unsere Putzfrau ist die Einzige, die an den Schlüssel kam.«
»Wir haben Ihre Putzfrau überprüft, sie hat ein Alibi«, sagte Ole, stützte das Kinn auf die Hand und schenkte Beate Gruber einen intensiven grünen Blick.
Beate Gruber gab darauf nur ein »Oh« von sich. Und noch einmal: »Oh.« Sie verfiel in grüblerisches Schweigen.
Auch Ole schwieg und beobachtete sein Gegenüber genau. Er konnte regelrecht sehen, wie es in Beate Gruber arbeitete. »Pah«, stieß sie schließlich verächtlich hervor. »Alibis kann man kaufen. Aber ich weiß, dass unsere Putzfrau eine Affäre hat. Mit dem Häberle von der SPD. Ich habe die beiden vor ein paar Wochen zusammen gesehen und wollte sie eigentlich sofort feuern. Aber so schnell findet man ja keinen Ersatz. Häberle kandidiert auch für den Posten des Oberbürgermeisters«, fügte sie hinzu.
Ole lächelte. »Danke«, erwiderte er knapp. »So viel Wissen dürfen Sie mir zutrauen.«
»Das passt ja zu so einem Sozialdemokraten«, schimpfte Beate Gruber weiter und Ole fragte sich verwundert, wo die schüchterne Frau geblieben war, die vor zehn Minuten durch seine Bürotüre getreten war. »Unsere Putzfrau, die Jolanda, kommt aus dem Ostblock, müssen Sie wissen. Hat kein Geld und so. Klar, dass das Herz eines solchen Sozialdemokraten da höher schlägt.«
»Haben Sie denn irgendwelche Veränderungen an Ihrer Putzfrau wahrgenommen?«
»Ja, natürlich.« Beate Gruber hatte nun gar keine Probleme mehr, Ole anzusehen, und starrte ihm direkt in die Augen. »Aufgedonnert bis zum Gehtnichtmehr hat sie sich auf einmal. Lackierte Fingernägel hat sie gehabt. Zum Putzen. Ts. Knallenge und superkurze Röcke in ganz grellen Farben hat sie getragen. Und dann dieses aufdringliche, billige Parfüm. Ich musste immer stundenlang lüften, wenn sie da gewesen war, um diesen Duft aus der Wohnung zu kriegen.«
Mit einem Mal war Ole hellwach. Von einem aufdringlichen Parfüm hatte auch Alexandra gesprochen.
Äußerlich blieb er ganz ruhig, aber in seinem Innern fuhren seine Gedanken Achterbahn. »Wir werden das überprüfen«, versprach er. »Aber eine Frage noch, Frau Gruber.«
»Ja?«
»Haben Sie seit dem Mord einmal mit Ihrem Mann telefoniert?«
Beate Gruber schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Das ist aber reichlich ungewöhnlich für ein Ehepaar, das sich eine ganze Woche lang nicht sieht, oder?«
»Ach, wissen Sie, Herr Kommissar, wenn man seit 25 Jahren verheiratet ist, dann muss man nicht ständig miteinander kommunizieren. Das werden Sie auch noch merken.« Und als sie lächelte, tat sie das ziemlich von oben herab.
Achtzehntes Kapitel
An einem unbekannten Ort
Marlene war inzwischen so geschwächt, dass sie all ihre verzweifelten Versuche, sich von dem harten, kalten Kellerboden zu erheben, um ihren Kreislauf wenigstens ein klein bisschen auf Trab zu halten, aufgegeben hatte. Sie wusste immer noch nicht genau, warum ihr Peiniger sie hier gefangen hielt. Und so sehr sie ihr Gedächtnis auch durchforstete: Sie kam einfach nicht darauf. Wenn ihr auch klar war, dass die Entführung etwas mit der Vergangenheit zu tun hatte. Besonders die Sache mit den Briefen, die geschrieben zu haben ihr Gefängniswärter ihr vorwarf, war und blieb rätselhaft. Anfangs hatte sie noch versucht, mit der Person, die sie gefangen hielt, zu sprechen, doch das hatte sie längst aufgegeben. Auch ihr Gefängniswärter hatte das Gespräch nicht mehr gesucht, sondern nur noch kurze, ruppige Antworten gegeben. Sie werde schon alles verstehen, wenn der Tag gekommen sei, hatte die hohle, monotone Stimme unbeteiligt gesagt. Als Antwort auf die bangen Fragen, was mit ihrer Mutter sei und was mit ihr, Marlene, geschehen sollte, hatte sie stets nur ihr höhnisches, gespenstisches Lachen gelacht. Und dann war sie in Schweigen verfallen, hatte stundenlang bei Marlene gesessen, ohne ein einziges Wort zu sagen. Marlene hatte in jenen Stunden kaum zu atmen gewagt und war stets unendlich erleichtert gewesen, wenn das quietschende Geräusch zeigte, dass der Stuhl zurückgeschoben wurde und ihr Peiniger aufstand. Und wenn kurz darauf der
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