Vergissmichnicht
verschüttet. »Wir werden Ihr Alibi nochmals überprüfen müssen«, lallte er und stellte fest, dass ihm seine Stimme nicht mehr gehorchen wollte. »Von … Ihrem … Wellnesshotel … bis … an den See …«, verwundert starrte er die Frau an, die ihm gegenübersaß. Ihre Augen funkelten noch größer und noch kälter. Sie sieht aus wie eine Eule, dachte Ole. Und dann: Dummer Anfängerfehler, sie hat mir etwas in den Kaffee getan.
Und dann brach Ole Strobehn auf dem blank polierten Esstisch der Grubers zusammen und landete mit dem Gesicht mitten im Milchschaum seines Cappuccinos.
Neunundzwanzigstes Kapitel
Überlingen
»Ich kann mir das wirklich auch nicht erklären.«
Monja Grundel wusste weder ein noch aus, und deshalb kam sie regelrecht freundlich daher. Nur ihrer Verwirrung war es zu verdanken, dass sie den Herrn aus Frankreich, der Ole so dringend zu sprechen wünschte, an ihren Sorgen teilhaben ließ. Normalerweise hätte sie wohl jedem, der Ole in dessen Abwesenheit zu sprechen wünschte, gesagt, er solle gefälligst mit ihr Vorlieb nehmen oder verschwinden. Obwohl – ganz abgesehen von ihrer Verwirrung – hatte dieser Franzose etwas, das sie ganz zahm werden ließ. So freundlich und höflich hatte sie noch keiner behandelt. Ja, dieser Mann gab ihr, Monja Grundel, das Gefühl, eine Schönheit zu sein. Klug und wichtig zu sein. Dieses Gefühl hatte ihr noch nie jemand vermittelt, immer hatte sie sich die Anerkennung und den Respekt ihrer Mitmenschen hart erkämpfen müssen. Und dieser Kampf ließ sie dann noch uncharmanter erscheinen.
»Glauben Sie, dass ihm etwas passiert ist?«
»Durchaus möglich. Er hat in den letzten Tagen immer mal wieder im Alleingang ermittelt.« Monja Grundel spürte den alten Groll in sich aufwallen. Sie mochte es nicht, wenn sich jemand unprofessionell verhielt. Und Oles Verhalten war mehr als unprofessionell. Außerdem fühlte sie sich wieder einmal missachtet und persönlich verletzt, weil er auf ihre Gesellschaft augenscheinlich so gar keinen Wert legte. Egal. Zur Professionalität gehörte es auch, persönlichen Ärger runterzuschlucken. Wenn ihr Kollege in Gefahr war, dann musste sie ihm helfen. »Herr Didier«, sagte sie vorsichtig. »Ich respektiere natürlich Ihren Wunsch, nur mit Herrn Strobehn sprechen zu wollen. Aber möglicherweise … nun, es wäre ja denkbar, dass Ihr Wissen dazu beitragen könnte, Herrn Strobehn zu finden. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie der Gatte der Tochter der Ermordeten, die in Frankreich verschwunden ist?«
»Ja«, sagte Charles, »da haben Sie recht.« Er war froh um seine Deutschkenntnisse. So konnte er verstehen, was diese durchaus vernünftig wirkende Polizistin sagte.
»Vor allem wollte ich Herrn Strobehn nach dem Namen des Mannes fragen, den er als ersten Tatverdächtigen verhaftet hat. Ich glaube nämlich nicht, dass es eine Frau war.«
»Wolfgang Gruber«, platzte Monja Grundel heraus. »Aber diese Information müssen Sie bitte vertraulich behandeln«, schob sie hastig hinterher.
»Natürlich«, sagte Charles Didier. »Das gilt umgekehrt auch für alles, was ich Ihnen jetzt anvertraue.«
Monja Grundel nickte.
»Wie alt ist dieser Wolfgang Gruber?«
»Moment.« Monja Grundel wandte sich ihrem Computer zu und tippte rasch etwas ein. »Er ist 54«, sagte sie dann.
Didier brummte zufrieden. »Das könnte passen. Wissen Sie, ob er schon immer in Konstanz gelebt hat?«
Monja warf erneut einen Blick auf ihren Computer. »Ja, aber können Sie mir verraten, warum Sie das alles wissen wollen? Normalerweise bin ich hier diejenige, die die Fragen stellt.« Schon stieg er wieder die Kehle hinauf, der alte, bittere, gallig schmeckende Groll.
Didier, der ein feines Gespür für Menschen besaß, merkte, dass die Stimmung zu kippen begann. Und er spürte auch, dass er es sich mit dieser Frau nicht verscherzen durfte. Sie zum Gegner zu haben, wäre ein ganz entscheidender Nachteil.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte er daher mit einem sonnigen Lächeln. »Ich wollte Sie nicht ausfragen. Das war wirklich nicht meine Absicht. Ich wollte nur sichergehen, ob meine Überlegungen überhaupt Sinn machen, bevor ich Ihre kostbare Zeit damit vergeude.«
»Schon in Ordnung«, brummte Monja und pustete gegen ihre blaue Haarsträhne. Dieser Mann verwirrte sie. Sie war es nicht gewohnt, dass man so freundlich zu ihr war, ja, sich gar bei ihr entschuldigte. Von jungen Tatverdächtigen, die wahrlich kein Blatt vor den Mund nahmen,
Weitere Kostenlose Bücher