Vergissmichnicht
Möglichkeit fiel ihr ein, Ralf zu verführen. Es würde schnell vorbei sein, er war immer rasch fertig beim Sex. Kein Vergleich zu Ole, der sich ausführlich Zeit nahm, sie und ihren ganzen Körper in Flammen zu setzen. Ralfs Egoismus, der sie während ihrer Beziehung immer gestört hatte, wäre nun ein klarer Vorteil. Er würde sich Befriedigung verschaffen, sich dann auf die Seite rollen und schnarchend einschlafen. Und sie konnte sich davonstehlen. Doch allein der Gedanke daran, mit Ralf intim werden zu müssen, erfüllte sie mit tiefem Ekel. Es musste noch eine andere Möglichkeit geben.
Sechsunddreißigstes Kapitel
Konstanz
»So, meine Lieben. Heute ist die Stunde der Wahrheit.« Beate Grubers Stimme klang hohl und schrill durch das Schlüsselloch der Eisentüre. Verdammt, warum hat sie den Raum nicht betreten, fluchte Ole innerlich. Jetzt, wo er nicht mehr gefesselt war, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, die schmächtige Frau zu überwältigen. Was sie vermutlich wusste. Das war der Grund, warum sie den Keller nicht betrat.
»Heute wird mein Mann zum mächtigsten Mann Konstanz’ gewählt. Endlich werden wir auch mal jemand sein. Und ich werde als seine Frau an seiner Seite stehen. In aller Öffentlichkeit. Alle werden uns sehen und alle werden uns zujubeln. Das wird uns niemand kaputt machen! Hören Sie? Niemand!«
Ole erschrak. Wahlsonntag. Das hieß, dass er schon seit zwei Tagen hier unten im Keller lag. Seine Sorge um Alexandra flammte erneut auf. Sie wusste, dass er zur Gruber gehen wollte, und sie war intelligent. Normalerweise hätte sie schon längst die Kollegen verständigen müssen. Normalerweise hätten sie längst hier sein müssen. Er tastete im Dunkeln nach Marlenes Hand und drückte sie aufmunternd. »Wir müssen auf Zeit spielen und sie so lange wie möglich aufhalten. Stellen Sie ihr Fragen«, flüsterte er. Laut sagte er: »Natürlich nicht, Frau Gruber. Wer sollte Ihnen diesen verdienten Erfolg auch noch kaputt machen?«
Beate Gruber lachte grausam. »Sie, Herr Strobehn. Sie wissen zu viel. Und Christin .« Sie spie den Namen regelrecht aus. »Deshalb müssen Sie sterben. Ich habe eine Waffe bei mir, Ihre Waffe, Herr Strobehn, und werde Sie beide erschießen.« Wieder dieses Lachen. Hohl, grausam, leer.
Marlene schluchzte auf. Ole zog sie an sich.
»Keine Sorge. So leicht kann sie uns nicht umbringen«, flüsterte er ihr beruhigend zu. »Dazu muss sie erst mal die Tür öffnen und sich orientieren, wo wir sind.«
»Aber der Lichtschalter ist draußen. Sie kann das Licht anknipsen und die Tür aufreißen. Und wir sehen dann erst mal nichts, weil wir geblendet sind«, wisperte Marlene ängstlich.
»Das schafft sie nicht. Wir sind zu zweit und ich bin für solche Fälle ausgebildet«, flüsterte Ole mit mehr Zuversicht, als er verspürte.
»Frau Gruber, wenn Sie uns töten, machen Sie es auch nicht besser. Man wird uns vermissen, uns suchen und die Spuren werden unweigerlich zu Ihnen führen. Meine Kollegen wissen, dass ich bei Ihnen war.«
Beate Gruber lachte höhnisch. »Ja, dumme Kollegen haben Sie. Sie waren gestern Mittag schon hier und ich habe auch gar nicht abgestritten, dass Sie bei mir waren. Nur habe ich ihnen gesagt, dass Sie nach einer Stunde wieder gegangen sind. Das hat mir diese dicke Polizistin voll abgenommen.«
Ole fluchte leise. »Sie werden wiederkommen«, sagte er. Dann versuchte er es mit einer Provokation. »Frau Gruber«, rief er. »Wenn wir schon sterben müssen, dann wüssten wir doch wenigstens gerne, warum. Würden Sie mir noch ein paar Fragen beantworten?«
Beates Stimme klang hohl und tot. »Fragen Sie.«
»Weiß Ihr Mann, dass Sie die ehemalige Verlobte von Carlo Bader sind?«
Auf der anderen Seite der Tür blieb es still.
»Frau Gruber?«
»Nein«, gab Beate schließlich zu. »Nein, er weiß es nicht. Er weiß nicht, dass ich Macht über ihn habe, weil ich weiß, was er getan hat. Ich würde es ihm erst sagen, wenn er mich verlassen würde. Das ist meine Lebensversicherung, verstehen Sie? Und er weiß auch nicht, dass ich ihn all die Jahre beschützt habe.«
»Wovor beschützt?«, flüsterte Marlene verwirrt.
»Das kriegen wir noch raus«, wisperte Ole zurück.
»Eins verstehe ich nicht, Frau Gruber«, rief er. »Wie kann eine Frau den Mörder des eigenen Verlobten heiraten?«
»Ja, begreifen Sie das denn wirklich nicht?«, fragte die Stimme im Schlüsselloch.
»Nein«, sagte Ole, erfreut zur Kenntnis nehmend, dass sie immer mehr von
Weitere Kostenlose Bücher