Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
den Armen. Schwarzgraues Haar hing in Strähnen an ihrem Kopf hinab bis fast auf den lehmigen Boden, ihr Körper glich eher einem Bündel Lumpen, den man Simba vor die Brust gelegt hatte. Spindeldürre Arme lagen über ihrer Brust verschränkt und die Beinchen, die vom Knie ab über Simbas linkem Arm hinabhingen, wirkten, als könnten sie nicht mehr als höchstens ein Kleinkind tragen. Die Frau musste leicht wie eine Feder sein.
Freude und Panik schnürten Reese gleichermaßen die Kehle zu. Jubel und Tränen mischten sich zu einem heiseren Geräusch, das wie eine Befreiung aus ihrer Kehle schoss und ihre starren Fesseln sprengte. Nichts hielt sie mehr. Sie schnellte herum und stürmte aus dem Zimmer, über den kurzen Flur, hinaus auf die Straße. Luft holte sie erst wieder, als Wade beiseitetrat, um ihr Platz an Simbas Seite zu geben.
Nichts, was sie hätte sagen können, wäre den Gefühlen gerecht geworden, die aus den Augen des geliebten Mannes sprühten. Sie schob den Arm um seine Hüften und ging Schritt für Schritt neben ihm her, hielt ihm die Haustür auf und begleitete ihn ins Wohnzimmer. Dort legte er Nani-ji auf dem Sofa ab.
Ihre Blicke streiften sich für einen winzigen Moment und Reese erkannte den Grund seiner Seele. Es bedurfte keiner Worte, sie wusste, was sein Blick ihr sagte. Augenblicklich ging sie in die Knie, fürchtete, ihre Finger würden zu sehr zittern, um an Nani-jis Hals nach dem Puls der alten Frau zu suchen, doch ihre Hand glitt ruhig über die zerfetzte Kleidung, die den Leib bedeckte.
Jemand schob den Arztkoffer neben ihre Beine.
Stunden später regte sich Nani-ji noch immer nicht und lag still wie in tiefer Bewusstlosigkeit. Reese hatte kleinere Wunden desinfiziert, aber keine bedrohlichen Verletzungen gefunden. Einige verblassende Hämatome hatte sie mit Salbe behandelt, den zierlichen Körper der Frau gebadet und mit Bodylotion eingerieben, ihr Haar gewaschen, entknotet und gekämmt, bis es fast wieder seidig zu nennen war.
Sie hatte Simbas Wunde am Oberschenkel genäht, immer wieder Ace’ unveränderten Zustand kontrolliert und zwischendrin irgendwann erfahren, dass die Männer Max und General Powell erreicht hatten. Es sollten Hubschrauber geschickt werden, die Hilfe konnte nicht mehr lang auf sich warten lassen.
„Du brauchst eine Pause.“
Reese schüttelte den Kopf. Nicht eine Sekunde war ihr Simba von der Seite gewichen, sogar dann nicht, wenn sie über den Flur in das gegenüberliegende Zimmer gegangen war, um nach Ace zu sehen. Die übrige Zeit verbrachte er damit, vor Nanijis Lager zu knien, ihre Hände zu halten, ihre Arme zu streicheln und zärtliches Gemurmel auf Indisch zu flüstern.
Simba zog Reese von hinten sacht an sich und legte seine Arme um ihren Oberkörper. „Sie sieht aus, als schliefe sie selig.“
Diese Art von Schlaf hatte Reese niemals zuvor erlebt. Schon bevor Simba ihr von Nani-jis Fähigkeit erzählt hatte, sich in einen Trancezustand versetzen zu können, war sich Reese sicher, dass Nani-ji nicht bewusstlos war in herkömmlichem Sinne und auch ein Koma schloss sie aus. Die Vitalfunktionen der alten Frau waren auf ein Minimum zurückgeschraubt, dennoch hatte ihr Körper wie von allein reagiert, als sie Nani-ji die Lippen mit Wasser befeuchtete. Ihre Zunge hatte sich bewegt, der Mund öffnete sich und Reese konnte ihr einige Löffelchen Wasser zuführen, die sie zu sich nahm, ohne sich zu verschlucken. Dennoch blieb die Atmung flach, der Herzschlag verlangsamt, weit mehr als bei einem Ausdauersportler im Ruhezustand. Dreißig Schläge pro Minute. Zu Anfang hatte er noch bei weniger als zwanzig gelegen und Reese war es schwer gefallen, überhaupt Lebenszeichen in dem geschwächten Körper zu erkennen.
„Nani-ji sammelt Kraft.“
„Sie hat niemals so lange gebraucht, um aufzuwachen.“ Tränen schwammen in Simbas Stimme.
Ihre Entführer schienen geglaubt zu haben, die alte Frau sei tot. Dass sie sich in diesen Zustand versetzt hatte, hatte ihr offenbar das Leben gerettet, allerdings dauerte es für Reeses Empfinden viel zu lange, dass sie aus der Trance zurückkehrte. Spürte sie nicht, dass sie sich in Sicherheit befand? War ihr Geist bereits so weit von ihrem Körper entfernt, dass der Weg zurück sich versperrte? Der Puls hatte sich leicht beschleunigt, doch darüber hinaus blieb der Zustand unverändert. Vielleicht sollte sie Simba mit Nani-ji für eine Weile allein lassen. Diesen Vorschlag hatte sie bereits gemacht und Simba hatte
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