Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
direkt sagen, dass sie sich unwohl fühlte in Nani-jis Gegenwart, eher unsicher. Ohne eine gemeinsame Sprache kam sie sich hilflos vor. Sie verschränkte die Finger ineinander und betrachtete Nani-ji.
Ihr Gesicht hatte einen rosigen Ton angenommen, die Augen strahlten klar und mit diesem besonderen Ausdruck, den nur ein langes, erfülltes Leben hineinmalen konnte. Langsam stand sie auf und ging ans Fenster.
Impulsiv wollte Reese aufspringen und sie stützen, doch der aufrechte, von eisernem Willen geprägte Schritt ließ sie innehalten. Artemis bellte und ihr gelbbraunes Zottelfell schob sich draußen vor die Scheibe.
Die alte Frau drehte sich um und streckte die Arme nach Reese aus. Die Geste war eindeutig und bedurfte keiner Übersetzung. Reese wurde warm ums Herz. Sie ließ sich in Nani-jis Arme ziehen. Leise Worte hüllten sie ein wie ein Sommerregen. Alle Ängste und Sorgen schienen mit dem Fluss des Gemurmels dahinzufließen.
Ihre Lider wurden schwer. Tief sog sie den Geruch nach Moos und Pilzen auf, den auch die Salbe und die Bodylotion nicht übertünchten.
Die Buchstaben begannen, vor ihren Augen zu tanzen, so oft hatte Nat den Text gelesen. Mittlerweile ging es auf halb drei zu und sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte. Von Müdigkeit fühlte sie keine Spur. Selbst wenn – nie und nimmer brächte sie es fertig, jetzt ein Auge zuzutun.
Die Zeit, Reese gedanklich mit Vorwürfen zu überschütten, lag hinter ihr. Ihre Tante hatte offensichtlich viel zu viel Interesse an dem Chatroom-Killer, als es gut sein konnte. Hatte sie diese Notizen gemacht, um die Polizei bei ihren Ermittlungen zu unterstützen oder sich auf eigene Faust ans Recherchieren begeben? Wie auch immer, Nat musste etwas einfallen. Nur was? Was?
Sie spielte mit dem Gedanken, ob sie versuchen sollte, Mom und Dad zu erreichen und kam zu dem niederschmetternden Ergebnis, dass es – zumindest in der Nacht – keine Fortschritte bringen würde. Ebenso wenig, wie die Polizei anzurufen.
Einige Minuten verbrachte sie damit, die Festplatte nach weiteren Dateien zu durchsuchen. Schließlich öffnete sie das Chatprogramm und sah sich die Historie an. Die Protokolle von Reeses Unterhaltungen zu öffnen, hätte sie sich niemals gewagt, wäre ihre Angst nicht so groß.
Sie überflog die Texte. Es waren nur wenige und die Gespräche muteten harmlos an. Shit! Zumeist hatte sich Reese in zwei Chaträumen aufgehalten.
# L. A. City Hausfrauenchat
und
#TV & Cinema
. In Letzterem hatte sie offenbar nur gelesen.
Nat überflog die wenigen öffentlichen Nachrichten im Hausfrauenchat. Die letzte stammte von 01:14 Uhr. Die braven Hausfrauen schliefen um diese Zeit.
Sie schob den Chefsessel zurück und ging ins Bad, hielt ihre Handgelenke am Waschbecken unter den kalten Wasserstrahl und schließlich ihr Gesicht. Ihr aufgewühltes Gemüt wollte sich nicht kühlen. So intensiv sie auch nachdachte, ihr blieb nichts, als unverrichteter Dinge nach Hause zurückzufahren.
Im Wohnzimmer schnappte sie sich ihre Handtasche und wollte den Monitor ausschalten. Mitten in der Bewegung hielt sie inne.
Unschlüssig ließ Natana den Zeigefinger über dem Ausschalter des Monitors schweben.
Verhängnisvolles Küken
… solche Nicknamen lockten die Männerwelt wie Nektar die Bienen. Nicht einmal Chaträume, die bereits von ihrer Bezeichnung her eine Interessengruppe definierten, schützten davor, mit dämlichen Sprüchen angemacht zu werden. Es wimmelte überall von Kerlen, die auf erotische Rollenspiele aus waren oder auf Videochats, bei denen ihnen jemand bei der Selbstbefriedigung zusah. Sie schaltete den Monitor aus. Wie konnte man sich da so einen Nicknamen zulegen?
An der Wohnungstür hörte sie ein leises Piepen aus den Computerlautsprechern. Eine weitere Chatnachricht. Nat zögerte, dann siegte die Neugierde. Sie ging zurück.
Natana zuckte zusammen. Wäre sie nicht nervlich in dieser verfahrenen Situation, hätte sie laut aufgelacht und den Chat geschlossen. Sie hätte sich gefragt, wie viele Verrückte da draußen eigentlich noch herumturnten, die nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wussten. Noch immer zögerte sie, ein Gespräch zu eröffnen. Wer sagte, dass da keine kranke Natur am Werk war, die um Aufmerksamkeit heischte? Ein Idiot, der dämliche Tricks anwendete, um sein Geschlecht vor seiner Cam zu zeigen?
Schließlich gab sie sich einen Ruck.
Dass sie noch mit dem Nicknamen ihrer Tante eingeloggt war, fiel ihr erst auf, als sie die
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