Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
Intensivstation und suchte den Ruheraum für Ärzte auf.
Die Nacht war ereignislos verlaufen. Keine Einsätze, keine Komplikationen. Noch eine Viertelstunde, dann kam der Schichtwechsel. Ein langes Wochenende lag vor ihr. Sie erinnerte sich kaum, wann sie das letzte Mal von freitags morgens bis einschließlich Sonntag am Stück dienstfrei gehabt hatte. Eine Gelegenheit, die Gedanken einmal von den Patienten freizubekommen und sich ein Verwöhnprogramm zu gönnen. Schlafen würde sie erst am Abend, denn ab Montag begann der Tagdienst wieder und sie musste bis dahin ihren Rhythmus umstellen.
Sie legte die Hände hinter den Kopf und verfolgte durch das Fenster einen Wolkenberg, der gemächlich seine Form änderte. Die aufgehende Sonne färbte ihn von rechts in einem kräftigen Rosa, während sich die linke Seite mit scharfen Kanten vor einem babyblauen Himmel abzeichnete. Der Sieg des Tages über die Nacht ließ die Schatten immer weiter schmelzen und die Konturen verschwimmen.
Plötzlich zerstörte ein Hubschrauber wie ein hässliches schwarzes Rieseninsekt das malerische Bild. Reese setzte sich auf. Der Helikopter steuerte den Landeplatz des Krankenhauses an, aber es handelte sich nicht um einen Rettungshubschrauber. Nur selten wurden Patienten mit einem Privathubschrauber hergebracht. Das Dröhnen der Rotoren drang nur schwach zu ihr. Sie beobachtete, wie sich die Tür öffnete und drei Männer auf die asphaltierte Fläche sprangen. Zuletzt kletterte ein Vierter heraus und sie erkannte einen Verband um seinen Oberkörper. Also dann, frischauf ans Werk. Reese beeilte sich, zur Notaufnahme zu laufen.
„Können Sie mir Ihren Namen sagen, Sir?“ Nicht nur der Pfleger, der die Frage an den Patienten gestellt hatte, sah auf, als sie den Behandlungsraum betrat. Der Blick aus diesem goldbraunen Augenpaar traf sie unvorbereitet und ihr Herz meldete jählings einen Streik an.
„Narsimha Mishra.“
„Guten Morgen, Mr. Mishra.“ Reese streckte ihm die Rechte entgegen. „Ich bin Dr. Reese Little.“ Sie betete, ihr möge keine Röte ins Gesicht schießen. Der Traum ihrer schlaflosen Nächte kauerte auf der Liege und maß sie mit einem Ausdruck in den Augen, in dem Schmerz und Ablehnung, ein sexy Funkeln und unverhohlene Flirtbereitschaft einen wilden Tanz aufführten. Sie spürte ihren Adrenalinspiegel steigen.
Narsimha erwiderte zögernd ihren Händedruck mit der Linken. Seine Handfläche fühlte sich warm und ledern an, wie von einem Mann, der kräftig zupacken konnte. Genau das, was sie sich wünschte. Stärke, die man sah und spürte. Eine breite Schulter, an die sie sich anlehnen konnte. Etwas zu schnell zog er den Arm zurück, gerade so, um es nicht mehr als unhöflich bezeichnen zu können, jedoch deutlich zurückhaltend. Die Freude, ihn wiederzusehen, trübte sich. Zu offensichtlich gewann seine Zurückweisung die Oberhand und hinterließ die Begeisterung allein auf ihrer Seite.
Sie zog sich einen Hocker heran, positionierte die Behandlungslampe und setzte sich. „Darf ich? Was ist passiert?“ Sie wartete keine Erlaubnis ab, sondern begann, den Verband, der seinen rechten Arm am Oberkörper fixierte, zu entfernen. Als die Fleischwunde offen lag, sog sie langsam den Atem ein, um ein Aufstöhnen zu unterdrücken. Die Wundränder hatten sich bedenklich rot gefärbt. Der Pfleger reichte ihr Tupfer und hielt eine Schale mit Jodtinktur bereit.
„Das wird etwas brennen“, warnte sie, wusste aber sogleich, dass ihm kein Ton entweichen würde. Die zusammengepressten Lippen verrieten stählerne Beherrschung. Sie versorgte die Wunde, gab sich bei der Naht besondere Mühe, damit später die Narbe möglichst unauffällig wirkte, und spritzte ihm ein Antibiotikum. Als der Pfleger die Aufgabe übernehmen wollte, einen neuen Verband anzulegen, winkte sie ab. „Ich mach das schon. Würden Sie sich bitte um die Rechnung kümmern?“
Drei Minuten allein mit Narsimha Mishra.
Was für ein seltsamer Name. Aus welchem Land mochte der Exot stammen? Seine Hautfarbe zeigte sich sogar im weißblauen Licht des Behandlungszimmers in einem warmen Bronzeton. Auf seinem unbehaarten Oberkörper und an den Oberarmen zeichneten sich kräftige Muskeln ab, liefen in einem Strang, den sie am liebsten mit dem Finger nachgezeichnet hätte, über seine Schultern und endeten in einem kräftigen Nacken. Kein Muskelprotz wie ein anabolikaschwangerer Bodybuilder, sondern maskulin markante Formen.
Mit einem Mal wurde sie sich bewusst, dass ihre
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