Verhängnisvolle Sehnsucht (German Edition)
den Namen der Verschütteten gehört hatte. Sein Herz begann schmerzhaft zu klopfen, als er sich vorstellte, dass Alyssa bereits tot sein könnte. Zwar hatte sie sich wie so viele andere entsetzt von ihm abgewendet, als er sich ihr einmal in der Bibliothek genähert hatte, aber trotzdem war es ihm nicht gelungen, sie aus dem Kopf zu bekommen. Im Gegenteil, immer wenn er sie sah, wurde seine Sehnsucht nach ihr noch stärker. Nur eine weitere Art der Tortur, die er sich selbst zuzuschreiben hatte.
Entschlossen ging er auf das zerstörte Gebäude zu. Auch wenn es jemand anders gewesen wäre, hätte er den Wunsch verspürt, ihn zu retten. Das Wissen, dass es Alyssa war, verstärkte diesen Drang noch um ein Vielfaches. Zugleich nagte beinahe etwas wie Angst an seinen Eingeweiden.
»Hey, Sie, bleiben Sie da weg, das ist zu gefährlich!«
Kyle drehte sich nach der Stimme um und erkannte einen der Feuerwehrmänner. »Ich weiß, was ich tue. Es ist noch jemand im Gebäude.«
Der Mann stellte sich ihm in den Weg und blickte ihn durchdringend an. Offensichtlich hatte er ihn erkannt, was ja nicht weiter schwer war. »Ich habe die Anweisung, niemanden dort reinzulassen.«
Kyle senkte seine Stimme. »Wenn Sie nicht wollen, dass die Bibliothekarin stirbt, tun Sie so, als hätten Sie mich nicht gesehen.«
»Aber …«
Ungeduldig blickte Kyle ihn an. »Es ist ganz einfach: Entweder Sie schlagen mich nieder – was Sie gerne versuchen können –, oder Sie lassen mich durch. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Stumm trat der Feuerwehrmann zur Seite. »Seien Sie vorsichtig.«
»Das bin ich immer.«
Der Blick des Mannes glitt zu den Narben, die die rechte Seite seines Gesichts bedeckten, bevor er davoneilte. Kyle schüttelte den Kopf. Man konnte so gut ausgebildet und so vorsichtig wie möglich sein, es war trotzdem keine Garantie, dass man heil herauskommen würde. Diese Lektion hatte er teuer bezahlt. Doch darüber konnte er momentan nicht nachdenken, es zählte nur, Alyssa zu finden und möglichst unversehrt wieder herauszubringen.
Schnell legte er die letzten Meter zum Haus zurück und suchte nach dem Kellereingang. An einem der anderen Geschäfte hatte er mal beobachtet, wie Waren angeliefert und in den Keller gebracht worden waren, deshalb hoffte er, bei Carries Laden auch so etwas zu finden. Falls nicht, würde es schwer werden, überhaupt tief genug vorzudringen, um zu der Umkleidekabine im Erdgeschoss zu kommen. Wenig später entdeckte er den gemauerten Eingang und atmete tief durch. Sein Herz klopfte hart gegen seine Rippen, Schweiß trat auf seine Stirn, während er auf den schmalen Durchlass starrte, der nicht von Brettern und Steinen verdeckt war. Es war Wahnsinn, hier hineinzugehen, das wusste er selbst. Aber er musste es tun. Und wenn er dabei starb, war es auch nicht weiter tragisch, solange er erst Alyssa rettete.
2
Kyle schob seinen massigen Körper durch den Spalt und ging geduckt die Treppenstufen hinunter, die zur Kellertür führten. Glücklicherweise versperrten nur wenige Bretter den Eingang, sodass er ihn rasch freiräumen konnte. Die Tür selbst stand noch im Rahmen – und sie war abgeschlossen. Mit einem kritischen Blick auf die kreuz und quer verlaufenden Balken über sich entschied er, dass er es wagen musste. Er hatte keine Zeit, erst noch einen Schlüsseldienst anzufordern oder sich eine Axt zu besorgen. Mit einem gezielten Tritt gegen das Schloss brach er die Tür auf. Durch den Schwung stolperte er vorwärts in das dunkle Innere, konnte sich aber abfangen, bevor er mit einem heruntergestürzten Balken kollidierte. Schmerz zuckte durch seine Schulter, doch er ignorierte ihn.
Mit dem Arm schützte er sein Gesicht vor herabrieselndem Schutt und blieb einen Moment still stehen, bis sich die Trümmer wieder gesetzt hatten. Vorsichtig hob er den Kopf und blickte sich um. Er konnte kaum die Hand vor Augen erkennen, deshalb holte er sein Handy heraus und schaltete die Taschenlampe darin an. Mit Wehmut dachte er an seine Ausrüstung zurück, die ihm früher die Arbeit erleichtert hatte. Kyle biss die Zähne zusammen, bis sie knirschten. Früher war das Stichwort: Er war kein Feuerwehrmann mehr, sondern ein Zivilist – und der musste sich eben mit einem Handy behelfen.
Vorsichtig bewegte er sich vorwärts in die Richtung, in der er die Treppe ins Erdgeschoss vermutete. Staubkörner tanzten im Licht der Lampe und erschwerten die Sicht noch zusätzlich. Was auch immer hier geschehen war, schien den
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