Verheißene Erde
führte keinen Aufstand an, er trat nicht für Zusammenarbeit mit fremden Regierungen ein, er hatte keine Körperverletzung begangen, er hatte dem Staat weder einen finanziellen Verlust zugefügt noch seine wesentlichen Leistungen gefährdet oder seinen Verkehr zu Lande, zur See oder in der Luft behindert. In diesen Punkten war er unschuldig, und sie waren nicht Gegenstand der Anklage. Aber in drei anderen Punkten, die für die Staatssicherheit höchst bedeutsam waren, war er vermutlich schuldig. Erstens hatte er Schwarze aufgewiegelt, indem er unangenehme Fragen stellte, und wurde daher angeklagt, zum Aufruhr aufzurufen; zweitens hatte er, indem er die Schwarzen an früheres Leid erinnerte, die Feindschaft zwischen den Rassen geschürt; drittens hatte er der Regierung auf verschiedene Art Schwierigkeiten bereitet. Und wegen dieser Vergehen mußte er vor Gericht gestellt und, falls er für schuldig befunden wurde, ins Gefängnis geschickt oder gehängt werden. Philip erfuhr, daß der Prozeß in Pretoria von einem bärbeißigen alten Richter, Herman Broodryk, geleitet werden sollte, der solche Fälle seit über zwei Jahrzehnten behandelte. Vor seiner Ernennung zum Richter im Jahre 1958 war er ein hervorragender Rechtsanwalt gewesen, der in den vierziger Jahren Aufsehen erregt hatte. Er verteidigte radikale Afrikander, die beschuldigt wurden, Jan Christiaan Smuts’ Bemühungen, das Land an Englands Seite in den Krieg zu führen, zu sabotieren. Er war ein persönlicher Freund aller Premierminister der letzten Jahre, und Philip beunruhigte es sehr, daß ein Mann mit einer solchen Vergangenheit diesen
Fall untersuchen sollte, aber ein Anwalt der Amalgamated Mines sagte ihm: »Die oberste richterliche Gewalt Südafrikas ist über jeden Verdacht erhaben. Wir können auf zwei Freiheiten stolz sein - auf Richter wie Broodryk und auf unsere freie Presse.« Und dann machte Philip eine sogar noch erschreckendere Entdeckung: »Ist es wahr, daß Richter Broodryk den Prozeß allein führen wird - ohne Geschworene?« Und wieder verteidigte sein Freund, der Rechtsanwalt, das System: »Eine unserer besten Neuerungen war die Abschaffung der Geschworenengerichte. Welche Chance hätte Nxumalo gegen eine aus zwölf weißen Männern und Frauen bestehende Jury? Ich überlasse es Ihrer Phantasie, was zum Beispiel im periodisch tagenden Gerichtshof in Venloo geschehen würde, wenn ein Schwarzer beschuldigt würde, die Tochter eines weißen Farmers belästigt zu haben. Vor lauter weißen Geschworenen!« Daniel Nxumalo sollte von Meneer Simon Kaplan verteidigt werden, einem Johannesburger Advokaten mit viel Erfahrung in der Verteidigung Schwarzer, die die Gesetze der Apartheid verletzt hatten. Die Anklage wegen terroristischer Betätigung würde von Meneer Martin Scheepers vertreten werden, einem Spezialisten für das Terrorgesetz; er war bereits neunzehnmal in solchen Fällen als Ankläger aufgetreten, hatte vierzehnmal gewonnen und im ganzen siebenundachtzig Männer und Frauen ins Gefängnis gebracht. In drei kürzlich abgehandelten Fällen, zu denen auch bewaffneter Aufruhr gehörte, hatte er die Todesstrafe erreicht.
In England, Amerika und den meisten westlichen Staaten konnte ein Richter ein Leben lang sein Amt ausüben, ohne je einen Menschen zum Tod zu verurteilen; Jahr um Jahr wurden in Südafrika etwa achtzig Menschen gehängt, mehr als in der gesamten übrigen westlichen Welt. Als Saltwood dazu Fragen stellte, sagte der Anwalt der Amalgamated: »Die meisten von ihnen sind Schwarze. Mörder, Frauenschänder. Wir sind dazu gezwungen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Es gibt vier Millionen von uns, zwanzig Millionen von ihnen.«
Der Gerichtssaal war dicht besetzt, als Richter Broodryk Platz nahm. Er war ein gewichtiger Mann mit dichten, buschigen Brauen, Hängebacken und furchteinflößendem Benehmen; aber im Laufe des Prozesses stellte Philip fest, daß er geduldig, aufmerksam und rücksichtsvoll war. Wenn ein Richter sich nicht gegen Geschworene zu behaupten brauchte, mußte er unparteiisch sein, Fakten aufdecken und Charaktere beurteilen, denn von ihm allein hing die Entscheidung über Schuld oder Unschuld, Tod oder Leben ab. In den Jahren seiner Bergwerkstätigkeit hatte Philip Prozessen in mehreren afrikanischen Ländern beigewohnt, und bei keinem hatte er einen weiseren Richter gefunden.
Broodryk behandelte Nxumalo äußerst zuvorkommend und hörte aufmerksam zu, wann immer er sprach. In seiner Eröffnungsrede legte
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