Verheißenes Land
ihr vor. »Du hast dich ja genauso bescheuert aufgeführt wie diese Suffragetten, die in New York in ihren abscheulichen Bloomers herumlaufen und aufrührerische Plakate durch die Gegend tragen! Allgemeines Wahlrecht und was die noch alles verlangen. Und ich wette, dass du deine Stimme nicht mir, sondern diesem Schönredner gegeben hast!«
»Ich finde es ganz und gar nicht bescheuert, dass die Suffragetten auf die Straße gehen und dieselben Rechte für Frauen einfordern, wie sie auch jedem Mann zustehen«, erwiderte sie ärgerlich. »Und wem ich meine Stimme gegeben habe, ist ja wohl meine Sache. Oder bin ich dir darüber etwa Rechenschaft schuldig?«
»Es ist nun mal so, dass der Mann das Sagen hat«, gab Brendan wütend zurück. Er war sichtlich in seiner Mannesehre gekränkt. »Das war immer so und wird auch so bleiben, da können diese Weiber noch so oft mit ihren Schildern über die Straßen laufen!«
»Nein, wird es nicht! Mach doch die Augen auf! Die Welt verändert sich und auch wir Frauen tragen unseren Teil dazu bei. Es wird allmählich Zeit, dass Rechte und Pflichten gerechter verteilt werden.«
»Das ist doch ausgemachter Unsinn! Ihr Frauen seid uns Männern einfach unterlegen«, beharrte er auf seiner Überzeugung. »Das steht schon so in der Bibel, falls du das vergessen haben solltest. Der Mann ist in einer Familie das Haupt und sagt, wo es langgeht. Und eine gottesfürchtige Frau hat ihrem Mann zu gehorchen. Lies es doch nach!«
»Komm du mir nicht mit Gottesfürchtigkeit – und schon gar nicht mit Gehorsam!«, fauchte Éanna ihn an. Sie kochte innerlich, dass er es wagte, von ihr Unterwerfung unter sein Wort zu fordern. Seine Ansichten weckten nicht nur Widerspruchsgeist in ihr, sondern es verletzte sie auch zutiefst, sie aus dem Mund des Mannes zu hören, der vorgab, sie zu lieben. »In der Bibel steht eine ganze Menge. Vieles davon halte ich für wahr und richtig. Aber manches ist längst überkommen und passt nicht mehr in unsere Zeit. Und ich werde mich nicht unter altertümliche Bestimmungen beugen, schreib dir das ein für alle Mal hinter die Ohren!« Damit warf sie ihre Decke zurück.
»Was soll das denn jetzt?«, rief er. »Wo willst du hin?«
»An die frische Luft! Hier drin kann ich nicht frei atmen«, zischte sie voller Zorn und sprang auf. »Und wage es bloß nicht, mir nachzukommen! Ich habe vorerst genug von deiner Gehorsam heischenden Gesellschaft, Brendan Flynn!«
Mit Tränen in den Augen lief sie in die Nacht hinaus. Als sie außer Sichtweite ihres Zeltes war, setzte sie sich auf eine Kochkiste neben einem erloschenen Feuer. Dort weinte sie still vor sich hin, während sie sich fragte, wie es bloß mit Brendan und ihr weitergehen sollte.
Brendan hatte viele gute Seiten. Er würde nicht nur sein letztes Hemd für sie geben, sondern auch ohne Zögern sein Leben für sie aufs Spiel setzen, wenn sie in Gefahr war. Schon zwei Mal hatte er ihr Leben gerettet. Das erste Mal in Irland, als sie in jenem harten Winter nach der Vertreibung von ihrem Pachtland als Bettler und Diebe auf der Landstraße gelebt hatten. Mehr als einmal waren sie dem Hungertod nahe gewesen und irgendwann hatte sie völlig entkräftet mit schwerem Fieber im Schnee gelegen. Brendan hatte sie meilenweit und mit letzter Kraft in das Armenhaus geschleppt. Das zweite Mal hatte er sie in New York davor bewahrt, bei dem nächtlichen Brand ihres Mietshauses in den tödlichen Abgrund zu stürzen.
Ja, sie konnte sich wahrlich blind auf ihn verlassen. Und es hätte alles so gut sein können, wenn da nicht diese andere Seite an ihm gewesen wäre: sein schnell aufsteigender Jähzorn, sein Beharren, immer recht zu haben, und nicht zu vergessen seine übertriebene Eifersucht. Nicht allein auf Patrick, sondern auf jeden jungen Mann, der es wie Daniel Erickson auch nur wagte, ein paar freundliche Worte mit ihr zu wechseln oder ihr ein harmloses Kompliment zu machen. Immer wieder kam es darüber zu Streit zwischen ihnen und in letzter Zeit häuften sich diese Auseinandersetzungen. Sie waren wahrlich mehr als unnötig und verdarben ihr so manche Stunde, ja sogar ganze Tage.
Leise schluchzend hing Éanna eine Weile ihren kummervollen Gedanken nach. Als sie sich schließlich wieder einigermaßen beruhigt hatte, machte sie im Licht des Vollmondes, der seinen silbrigen Schein über den Lagerplatz warf, eine weite Runde um die Wagenburg. Dabei traf sie erst auf Daniel Erickson und dann auf Winston Talbot, die in dieser Nacht
Weitere Kostenlose Bücher