Verheißenes Land
welcher gesellschaftlichen Klasse man stammt, sondern ganz allein, welchen Charakter man hat, wozu man fähig ist und wie hart man zu arbeiten gewillt ist.«
Er hielt kurz inne, als wäre er selbst überrascht von diesem Ausbruch.
»Éanna, das Leben ist zu kurz, um sich etwas vorzumachen. Halbherzige Bindungen und faule Kompromisse werden dich nicht glücklich machen«, fügte er dann noch leise hinzu, während er sich schon von der Felsplatte erhob. »Das Leben hält viel mehr für uns bereit. Aber wir müssen uns auch darauf einlassen. Wir müssen unser Herz und unsere Seele öffnen und vor allem müssen wir ehrlich sein. Zu uns und auch zu unserem Gegenüber. Ich werde nicht wieder davon anfangen, das verspreche ich dir. Was weiter geschieht, liegt allein in deiner Hand. Wenn du überzeugt davon bist, dass dein Platz an Brendans Seite ist, will ich der Letzte sein, der sich zwischen euch drängt. Aber ich bitte dich, bleib nur bei ihm, wenn du dir auch wirklich sicher bist.« Er berührte sie kurz sanft an der Schulter, dann stand er auf und entfernte sich.
Éanna saß da wie vom Donner gerührt. Sie brauchte lange, bis sie die seelentiefe Erschütterung, die Patricks Worte in ihr ausgelöst hatten, halbwegs überwunden hatte und sie sich in der Lage fühlte, sich von ihrem Platz zu erheben und von dem Felsen hinab ins Lager zu steigen.
Es war spät geworden und überall brannten schon die Kochfeuer. Éanna war dankbar für die einbrechende Dunkelheit, die ihr Gesicht in tiefem Schatten ließ, als Brendan wissen wollte, wo sie denn bloß so lange gesteckt hatte. Emily spürte den Aufruhr in Éannas Innerem und half ihr geistesgegenwärtig aus der Klemme.
»Du siehst müde aus, Éanna. Aber das ist ja auch kein Wunder nach diesen zehntausend oder Gott weiß wie vielen Schritten«, sagte sie. »Komm, setz dich, das Essen ist gleich fertig.« Und damit führte sie Éanna von Brendan weg und zu einer freien Sitzkiste, die zwischen Winston und Liam am Feuer stand.
Und auch dass Winston nach dem Essen noch unbedingt eine Partie Schach mit ihr spielen wollte, kam Éanna sehr entgegen. Denn als sie schließlich zu Brendan ins Zelt kroch, lag dieser schon in tiefem Schlaf. Für Éanna hingegen begann trotz aller Müdigkeit wieder einmal eine Nacht voller Grübeleien und unruhiger Träume.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Die Lagerfeuer des Frühstücks waren schon erloschen und der Wagenzug stand fast bereit zum Aufbruch, als sich drei Reiter ihrem Camp näherten. Sie kamen aus östlicher Richtung über den Trail und führten fünf Pferde mit sich, die mit Proviantsäcken sowie mit Decken- und Zeltrollen bepackt waren.
»Erickson, wir bekommen Besuch«, rief jemand dem Schweden zu. »Drei Reiter aus Osten, die offenbar allein auf dem Trail sind!«
Neugierig, um wen es sich bei diesen Reitern bloß handeln mochte, liefen die Leute zusammen und blickten den Fremden entgegen, die in einer so kleinen Gruppe unterwegs waren. Sie bogen nun vom Trail ab und hielten auf ihren Lagerplatz zu. So manch einer der Overlander beneidete sie darum, dass sie sich so viele Pferde hatten leisten können und bestimmt in weniger als der halben Zeit an die Westküste gelangen würden als sie mit ihren dahintrottenden Ochsen.
»Vermutlich Goldgräber, die auf dem Weg zu den Goldfeldern sind und Informationen mit uns austauschen wollen«, vermutete Liam. Doch er irrte sich.
»Alle Achtung, die sind ja reichlich schwer bewaffnet«, stellte Brendan verblüfft fest, als die Reiter nahe genug herangekommen waren, um Einzelheiten auszumachen. Jeder von ihnen hatte ein Gewehr in einem ledernen Futteral stecken und ihre Gürtel waren als Patronengurte gearbeitet, an denen sie beidseitig Revolver trugen.
Die Fremden zügelten ihre Pferde vor der Gruppe der Overlander, die unwillkürlich einen Halbkreis um sie bildeten. Jeder von ihnen wollte mitbekommen, wer die Männer waren und welches Anliegen sie hatten. Der Größte und Älteste von ihnen, ein sehniger Mann um die vierzig mit einem langen, im Nacken lose zusammengebundenen Haarzopf und einem scharf geschnittenen, wettergegerbten Gesicht, tippte sich kurz mit der Fingerspitze an die Hutkrempe.
»Gott zum Gruße, Trailsleute!«, grüßte er jovial. Die beiden anderen, stämmige Männer um die dreißig mit harten Gesichtern, nickten nur stumm. Mit der linken Hand auf das Sattelhorn gestützt und die rechte scheinbar gedankenlos auf die Griffstücke ihrer Revolver gelegt, ließen sie ihre
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