Verheißenes Land
Verlangen danach, auch noch um diesen Berg herumzuwandern!«
Auch Liam und Emily waren nicht dafür zu begeistern. Die Freundin wollte in der Zeit lieber ihre Bluse flicken, die sie sich tags zuvor an einem vorstehenden Holzsplitter des Wagens aufgerissen hatte. Und Liam wich schon seit Tagen kaum von ihrer Seite, so als bedurfte sie seines ständigen liebevollen Schutzes.
Also machte sich Éanna allein auf den Weg um den Chimney Rock. Als sie die Westseite erreicht hatte, kletterte sie über einen ausgetretenen Pfad ein Stück weit den Sockel hinauf, bis sie eine Stelle gefunden hatte, wo ihr ein hervorspringendes Felsbrett einen bequemen Sitzplatz bot. Von dort blickte sie hinaus auf die riesige Ebene und hin zu den schneebedeckten Spitzen der Rocky Mountains.
Sie tauchte so sehr in ihre Tagträume ein, dass sie Patrick erst bemerkte, als er sich ihr schon bis auf wenige Schritte genähert hatte und sie aus ihrer Versunkenheit holte.
»Ein Königreich für deine Gedanken, Éanna«, schmunzelte er. Sie fuhr zusammen und sah ihn überrascht an. »Weißt du denn nicht, dass es sich nicht gehört, junge Frauen so zu erschrecken«, tadelte sie ihn mit übertriebener Schärfe. »Und noch viel weniger ziemt es sich, ihnen so klammheimlich nachzusteigen!« Gleichzeitig musste sie sich jedoch bemühen, ein Lächeln zu unterdrücken, denn in Wirklichkeit freute sie sich, ihn fern von allen anderen zu sehen.
»Bitte verzeiht mir, edle Dame«, entschuldigte er sich mit einem verschmitzten Grinsen. »Nach dem Aufstieg könnte ich eine kleine Atempause dort bei dir auf dem Felsvorsprung ganz gut gebrauchen. Aber wenn ich deine Kreise wirklich so ungehörig störe, wie du sagst, dann werde ich mich natürlich diskret zurückziehen, wie man es von einem Gentleman erwarten kann. Auch wenn der unter einigen Schichten Trailstaub steckt.«
Sie ging nicht darauf ein, denn sie wollte nichts weniger, als dass er wieder ging. Doch ebenso wenig konnte sie ihm das unverblümt eingestehen. Mochte der Teufel wissen, was mal wieder in sie gefahren war! Dieses ewige Zaudern machte sie selbst schon ganz verrückt.
»Du bist mir gefolgt«, stellte sie stattdessen fest.
Dass sie ihn nicht aufgefordert hatte, sie allein zu lassen, deutete Patrick als stillschweigende Erlaubnis, sich zu ihr setzen zu dürfen. Und sie machte ihm bereitwillig Platz. Er nahm den eingestaubten Hut vom Kopf und wischte sich mit einem bunt karierten Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
»Nun ja, ich sah dich so allein auf den Felsen steigen«, sagte er dann. »Und da dachte ich mir, es könne nicht schaden, ein Auge auf dich zu haben. Der Pfad ist doch recht schmal. Und so müde, wie wir immer sind, kann es schnell passieren, dass du dir den Knöchel verknackst und dann nicht mehr ohne Hilfe herunterkommst.«
Sie konnte nicht anders, als belustigt aufzulachen. »Ach, Patrick! Als ob du mir deshalb nachgekommen bist! Du weißt ganz genau, dass ich sehr gut allein auf mich aufpassen kann.«
Sie sah ihn an und sagte noch immer lachend: »Du bist schon ein rechter Geschichtenerzähler. Aber die, die du mir jetzt aufgetischt hast, gehört ehrlich gesagt nicht zu deinen besten.«
Er errötete und blickte lächelnd nach unten. »Ich gestehe, dass sie etwas zu hastig improvisiert war«, räumte er ein und sagte dann mit ernster Stimme: »Mein Gott, ich wollte einfach mal wieder allein mit dir sein, Éanna. In der letzten Zeit haben wir doch kaum miteinander gesprochen. Und selbst dann war immer jemand in unserer Nähe. Es hat mir so schmerzlich gefehlt.«
Mir auch!, hätte sie am liebsten geantwortet, biss sich jedoch auf die Lippen und antwortete stattdessen ausweichend: »Es ist in den letzten Wochen auch so viel passiert. Die vielen Unglücksfälle und was sonst noch alles gewesen ist.«
Sie schwiegen eine Weile, den Blick auf die unermessliche Weite des Landes gerichtet, das sich vor ihnen erstreckte und von ihnen bewältigt werden wollte.
»Kommt ihr denn gut mit eurem Proviant aus?«, brach er schließlich das Schweigen, offensichtlich bemüht, das Gespräch mit ihr wieder aufzunehmen.
Sie nickte. »Winston Talbot bringt jeden Abend erheblich mehr Lebensmittel zu den Mahlzeiten mit, als er und der Russe essen. Ich bin mir inzwischen sicher, er tut es mit Absicht, weil er weiß, dass wir nicht gerade mit üppigen Vorräten auf den Trail gegangen sind. Er dagegen hat es sich leisten können, mehr als nötig mitzunehmen.«
»Das ist sehr nobel von ihm«,
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