Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verheißung Der Nacht

Verheißung Der Nacht

Titel: Verheißung Der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Blake
Vom Netzwerk:
ein.
    Reid war nicht im Haus. Lizbeth sah sie lange und nachdenklich an, dann deutete sie in die Richtung, in der er verschwunden war, als er in den Wald ging.
    Der Pfad führte in die Big Woods, das Gebiet jungfräulichen Waldes, das hinter der Papierfabrik lag und dessen nördliche Grenze an das Wildreservat stieß, in dem das Fort lag. Der Weg war uneben, bis Cammie das Gebiet mit den alten Bäumen erreichte. Die riesigen hohen Kiefern und Eichen, die Lorbeer- und Gummibäume und die Eschen bildeten ein dichtes Dach über ihrem Kopf, das kein Sonnenlicht bis zum Boden scheinen ließ. Das Unterholz wurde dünner und verschwand nach einer Weile ganz. Ein brauner Waldboden blieb, auf dem Pilze und Moos wuchsen und dicke Lagen von verwelkten Blättern ein weiches Kissen bildeten. Es war ein weiter, offener Wald; in dem die Vögel sangen und die Eichhörnchen keckerten. Die Geräusche hallten wider zwischen den hohen Stämmen, sie vibrierten in der Luft wie in einem riesigen Klangraum.
    Cammie blieb stehen und holte tief Luft. Sie war nicht nur sehr schnell gegangen, sie hatte auch einen weiten Weg zurückgelegt. Sekundenlang dachte sie, dass es nicht gerade sehr weise war, einem Mann in diesen Teil des Waldes zu folgen, den sie des Mordes für fähig hielt. Doch dann schob sie den Gedanken sehr schnell von sich und konzentrierte sich darauf, Reid zu finden.
    Irgendwo in der Nähe hörte sie ein lautes Klopfen. Sie lächelte, als ihr klar wurde, woher dieses Geräusch stammte. Sie verließ den schmalen Pfad und ging auf das Geräusch zu.
    Sekunden später sah sie den Ursprung des Geräusches: einen Indianerkopfspecht. Der kleine Hahn mit seinem graubraunen Körper und der roten Kokarde, die an seinen Schultern begann und den ganzen Kopf bedeckte, hing am Stamm einer Kiefer, die vom Borkenkäfer befallen war. Ein Sonnenstrahl fiel durch das Blätterdach, das Gefieder glänzte auf, während der Specht eine ganze Reihe von Löchern in den Stamm schlug. Er hielt lange genug inne, um den Kopf zu recken, als sie näher kam. Doch dann stellte er fest, dass keine unmittelbare Gefahr zu bestehen schien, und er wandte sich wieder der Suche nach Insekten und Larven zu.
    Es war schon lange her, seit Cammie einen dieser seltenen Vögel gesehen hatte. Bei seinem Anblick fühlte sie wieder dieses kleine Wunder, es war, als hätte eine Frau aus dem Mittelalter ein Einhorn im Wald entdeckt. Die Welt würde ärmer sein, wenn es solch faszinierende Geschöpfe nicht mehr gab. Sie sah dem Vogel noch eine Zeitlang zu; als er dann tiefer in den Wald hineinflog, kehrte sie zum Pfad zurück.
    Musik war es, die sie zu Reid führte. Sie hörte sie schon aus einiger Entfernung, eine sanfte, liebliche Melodie, gespielt auf einer Gitarre. Sie erinnerte sie an alte Volkslieder, wie >Greensleeves< und >Scarborough Fair<, doch besaß sie eine unerwartete Kraft und hatte einen härteren Rhythmus.
    Reid saß am Rande einer mit Farnen bewachsenen Lichtung auf dem dicken Stamm einer uralten weißen Birke, im Arm hielt er eine Gitarre. Hinter ihm wuchsen grüne Farnwirbel um eine Quelle, die von einem kleinen Hügel einen Bach speiste. Sie hoben ihre hellen Köpfe aus dem dicken Mulch des letzten Jahres.
    Ein Sonnenstrahl ließ Reids Haar golden aufleuchten, als er sich über sein Instrument beugte. Sein Gesicht war konzentriert, als er ein Stück spielte, innehielt und es dann noch einmal versuchte. Dann änderte er die Melodie ein wenig und versuchte es erneut.
    Es war eine Melodie, die eigentlich von Worten begleitet werden sollte, der Anfang eines Liedes, vielleicht einer Ballade über Liebe und Verlust. Musik, zu der man Bier trank. Das einzige Ventil für die Gefühle des kleinen Mannes, so hatte er es ausgedrückt.
    Sie dachte daran, sich leise zurückzuziehen, ehe er überhaupt wusste , dass sie da war. Doch sie hätte es besser wissen sollen.
    »Lauf nicht weg«, sagte er, ohne aufzusehen. »Komm und setz dich zu mir und sag mir, was du hier tust.«
    Ihre Stimme klang ein wenig bissig, als sie zu ihm hinüberging und sich neben ihn auf den halb vermoderten Stamm setzte. »Ich suche dich natürlich.«
    Er warf ihr einen schnellen, vorsichtigen Blick zu, ehe er sich wieder seiner Gitarre widmete. »Warum? Willst du noch jemanden umbringen lassen? Macht Mawley dir schon zu viele Probleme?«
    »Ich dachte«, meinte sie gepreßt, »du wärst überzeugt, ich könnte so etwas allein erledigen.«
    Die Musik endete mit einem plötzlichen, scharfen Akkord.

Weitere Kostenlose Bücher