Verheißung Der Nacht
wieder an das, was sie ihm gesagt hatte, gerade eben und auch schon vorher.
Es verwunderte sie, dass sie nie zuvor daran gedacht hatte, mit Keith so zu reden. In den ganzen sechs Jahren ihrer Ehe hatte ihr Mann nie geahnt, dass sie Schriften über Sexualität gelesen hatte, er hätte sich nie träumen lassen, dass ihre vorsichtigen Vorschläge aus dieser Lektüre stammten. Genützt hatten sie sowieso nichts.
Reid Sayers war ganz anders. Sie hatte das Gefühl, ihm alles sagen zu können, er würde nie schockiert sein oder geringschätzig reagieren, nicht einmal überrascht würde er sein. Er war zu enormer Toleranz fähig, mehr vielleicht als alle anderen Männer. Sie war gewachsen aus all dem, was ihm zugestoßen war, was er gesehen und getan hatte. Er würde es sich nicht anmaßen, einen Menschen zu verurteilen, er würde jeden so akzeptieren, wie er war, mit all seinen Fehlern. Er hatte den Glauben an die Perfektion verloren.
»Hast du eigentlich einen Job?« fragte er ernst.
Sie lächelte ein wenig, als sie begriff, dass er eher ein praktischer Mensch war, so ganz anders als sie. »Du willst wohl wissen, wie ich lebe. Ich habe etwas Geld aus einer Erbschaft, außerdem gehört mir ein Teil eines Antiquitätenladens. Keines von beiden erlaubt mir wilde Extravaganzen, aber ich komme ganz gut zurecht. Außerdem habe ich ein Diplom in Französisch, und ich habe bei einer Reihe von CODOFIL-Projekten mitgearbeitet. CODOFIL ist der Rat für die Entwicklung der französischen Sprache in Louisiana. Zufällig werde ich ausgerechnet morgen zu einer Wochenendkonferenz der CODOFIL nach New Orleans fahren. Wahrscheinlich könnte ich durch meine Verbindungen dort einen Job als Französischlehrerin bekommen, wenn es sein müsste . Und wenn alles andere fehlschlägt, könnte ich noch immer Evergreen zu einem Hotel garni umbauen.«
Reid zog belustigt einen Mundwinkel hoch. »Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass du Touristen willkommen heißt und um sechs Uhr am Morgen aufstehst, um ihnen Croissants und Kaffee zu servieren.«
»Ich werde das schon schaffen. Ich bin nicht eine dieser hilflosen Frauen, die noch nie eine Rechnung bezahlt oder eine Versicherungspolice abgeschlossen haben. Um diese Angelegenheiten habe ich mich schon immer selbst gekümmert.«
»Perfekt, wie ich schon sagte. Also ist das einzige, was du im Augenblick noch brauchst, um deine Zukunft zu sichern, ein Mann - in deinem Gästezimmer.«
Seine Stimme klang gleichmütig, ganz und gar nicht ermunternd, dennoch verspürte Cammie bei seinen Worten ein eigenartiges Hochgefühl. Ihr wurde ganz warm, doch ihr Gesichtsausdruck verriet nichts von ihren Gefühlen, als sie sprach. »Ja.«
Lange sah Reid sie nur an, dann wandte er sich ab und nahm die Hände aus den Hosentaschen. Er hob einen Arm und stützte das Handgelenk auf den Kaminsims, seine Finger ballten sich langsam zur Faust. »Falls - und ich meine wirklich falls - ich dir zustimmen würde, dann gibt es einige Regeln, die einzuhalten sind. Glaubst du, dass du das kannst?«
Ihr war es ganz gleich, wie das klang. Sie legte den Kopf ein wenig schief und fragte: »Und was wären das für Regeln?«
»Sie sind ziemlich einfach, aber sehr wichtig. Tritt nie von hinten an mich heran. Bewege dich nicht zu schnell in meiner Nähe, es sei denn, ich beobachte dich. Und komme um Himmels willen nie im Dunkeln auf mich zu, ohne mich vorher zu warnen. Wenn du eine dieser Regeln vergisst , dann werden wir das beide bereuen. Aber dann könnte es schon zu spät sein.«
Sie stand da und lauschte dem Echo seiner Worte und auch der Verzweiflung in seiner Stimme, und sie hätte am liebsten geweint. Es war tragisch, wenn ein Mann sich so sehr vor dem menschlichen Kontakt fürchtete - nicht um seiner selbst willen, sondern der anderen wegen -, dass er sich mit einer solch rücksichtslosen Entschlossenheit diesem Kontakt entzog. Der Drang, ihm zu helfen, war übermächtig.
»Wie kommt es«, sagte sie leise, » dass du unter Leute gehst und dass du daran denkst, mit ihnen in der Papierfabrik zusammenzuarbeiten, wenn du dir selbst nicht trauen kannst?«
»Ich bin nicht sicher, dass ich es kann. Ich denke, ich werde es ganz langsam angehen lassen und immer dafür sorgen, dass ich mit dem Rücken zur Wand stehe.«
»Du hast mich doch da draußen im Wald auch überwältigt, ohne mir weh zu tun. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es ein so großes Problem für dich sein könnte.«
Er biß die Zähne zusammen, sie
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