Verheißung Der Nacht
sah es daran, wie die Muskeln in seinem Kinn arbeiteten. »Das war etwas, was man als einen geplanten Angriff bezeichnen würde. Ich wusste ganz genau, was ich tat, ich hatte die Kontrolle darüber.«
Das konnte sie allerdings nicht abstreiten. Sie versuchte es noch einmal. »Und was war draußen auf der Veranda? Da bin ich doch auch im Dunkeln auf dich zugekommen, und du hast mir nichts getan.«
»Da habe ich dich gesehen, ich wusste , dass du auf mich zukamst. Es fehlte das Überraschungsmoment.«
»Ich glaube, ein wenig überrascht warst du schon«, meinte sie nüchtern. Sekundenlang zögerte sie, dann sprach sie weiter. »Also gut, zu meinem eigenen Schutz möchte ich es noch einmal klarstellen. Solange du siehst, was auf dich zukommt, sollte es keine Probleme geben. Stimmt das?«
»Im allgemeinen schon. Es gibt keine ... Reaktion, normalerweise, wenn es den Überraschungseffekt nicht gibt und keine offensichtliche Bedrohung.«
»Es gibt eine ganze Menge verschiedener Bedrohungen.« Sie sprach ganz leise, beinahe wie zu sich selbst.
»Ich meinte körperliche Bedrohungen«, erklärte er scharf.
Ihre Augen waren ganz groß, als sie in seine blauen Augen sah. »Ich auch.«
Ein sichtbarer Schauer lief durch seinen Körper und hinterließ eine Gänsehaut auf seinen Armen. Schnell wandte er den Blick ab. Mit rauher Stimme meinte er: »Also gut, wo ist das Bett?«
Eine Weile später lag Cammie wach im Bett, starrte in die Dunkelheit und sah dem Spiel des Wetterleuchtens auf den Gardinen des Schlafzimmers zu. Der Wind wurde immer stärker, er heulte um das alte Haus. Zu dem Regen schien sich jetzt ein Frühlingsgewitter zu gesellen.
Sie überlegte, ob Reid wohl schlief, zwei Türen weiter. Oder lag er hellwach in dem alten Bett mit den dicken Bettpfosten und fragte sich, warum er sich hatte überreden lassen zu bleiben ?
Im ganzen Haus hatte Cammie keinen Männerschlafanzug finden können. Die Kleidungsstücke ihres Vaters hatte sie schon vor langer Zeit einer wohltätigen Organisation gespendet, Keiths Sachen hatte sie zusammengepackt und zum Wohnmobil seiner Freundin geschickt. Aber Keiths Kleidung hätte Reid sowieso nicht gepaßt. Ihr Mann hatte mit den Jahren an Gewicht zugelegt, besonders um die Taille, und er war auch mindestens fünf Zentimeter kleiner als Reid.
Sie fragte sich, ob Reid wohl in seiner Unterhose schlief oder ob er es vorzog, nackt zu schlafen. Er schien kein Mann zu sein, der sich Beschränkungen irgendwelcher Art auferlegte.
Cammie rutschte unruhig in ihrem Bett hin und her, sie legte einen Arm über den Kopf und rollte sich auf die Seite. Ihr Nachthemd aus pfirsichfarbener Seide war ihr zu schwer und engte sie ein. Sie dachte daran, es auszuziehen, doch das erschien ihr fast, als würde sie jegliche Zurückhaltung aufgeben.
Zurückhaltung - wovor? Das war hier die Frage.
Aber nein, das war unehrlich. Sie wusste durchaus, welche Sehnsüchte sie in Versuchung führten. Das Problem, das ihr die meiste Zeit ihres Lebens zu schaffen gemacht hatte, war, dass sie sich selbst nur zu gut verstand. Ihre Vorlieben und Impulse einfach zu ignorieren, war noch nie eine annehmbare Entschuldigung für sie gewesen.
War es vielleicht ein eigenartiges Bedürfnis der Selbstauf o pferung, das sie mit dem Gedanken spielen ließ, aus dem Bett aufzustehen und so schnell sie konnte den Flur hinunter zu laufen? War es eine rein weibliche Widerspenstigkeit, eine Sehnsucht nach etwas, das man ihr absichtlich verwehrt hatte? Oder war es die uralte weibliche Sehnsucht, Trost zu spenden?
War es die schlichte Lust einer Frau, die schon seit Monaten ohne Mann war? Oder war es der Drang nach gegenseitiger Heilung?
War es vielleicht ein Bedürfnis, sich für erlittene Kränkungen zu rächen?
Es konnte all das sein. Aber viel eher war es wie eine Sehnsucht, die sie nach Hause rief.
Reid Sayers bedeutete ihr nichts. Wie sollte er auch? Sie kannte ihn kaum, und das wenige, was sie in den letzten zehneinhalb Jahren über ihn erfahren hatte, war nicht gerade ermutigend.
Er war nicht der Mann, mit dem sie Umgang gepflegt hätte, wäre er in der Stadt geblieben; die Differenzen zwischen ihren beiden Familien bedeuteten, dass sie einander gesellschaftlich nicht sehr oft begegnet wären. Doch selbst wenn sie einander von Zeit zu Zeit gesehen hätten, hätte wahrscheinlich der Zwischenfall am See sie getrennt.
Und falls diese Gründe noch nicht genügt hätten, so hätten es seine Herkunft und seine offensichtlichen
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