Verheißung des Glücks
Augenblick. Einer der Brüder versuchte, ihn zu schultern und zu tragen, doch das funktionierte nicht besonders gut. Die meisten MacFearsons waren zwar ebenso groß wie Lincoln, doch kaum einer hatte seine kräftige Statur. Sein muskulöser Körper war schlichtweg zu breit für ihre Schultern.
Unbeholfen stellte man ihn wieder hin, jedoch ohne ihm die Fesseln abzunehmen, damit er selbst gehen konnte. Nun packte ihn einer an den Schultern und einer an den Füßen. Aber sein Gewicht und sein Unwillen, es den Trägern leichter zu machen, bereiteten ihnen Schwierigkeiten. Dennoch zerrten und schleppten sie ihn unter großem Geschnaufe und Gestöhne ein Stück weit von der Kutsche weg. Bald befanden sie sich nicht mehr im Freien. Lincoln merkte es daran, dass er die salzige Brise, die ihn vorher noch umweht hatte, nicht mehr spürte.
Er war dankbar, in einem Gebäude zu sein, ganz gleich, welcher Art es sein mochte. Unterwegs hatte er das Wasser gerochen, doch ob es das Meer oder ein Fluss war, konnte er nicht sagen. Er überlegte, ob man ihn einfach in die Fluten werfen wollte. Damit wäre das Problem für die MacFearsons auf einfachste Art und Weise erledigt gewesen. In diesem Fall konnte er absolut nichts tun, um sich noch zu retten.
Doch die Brüder waren keine feigen Mörder. Selbst Lincoln traute ihnen so viel Niedertracht nicht zu. Sie mochten eine Horde von ungehobelten Wilden sein, die nach ihren eigenen Gesetzen lebten. Sicher würden sie nicht zögern, ihm sämtliche Knochen zu brechen. Die Grenze zu einem bewussten Mord würden sie jedoch nicht überschreiten. Sie brachten niemanden um — jedenfalls nicht mit Absicht. Wenn es allerdings wie ein Unfall aussah ...
Nun lag Lincoln wieder auf einem sehr harten, wenn auch nicht ganz flachen Untergrund. Eigentlich war die Liegefläche sogar sehr uneben. Lincoln wartete darauf, dass man ihm die Fesseln abnahm. Doch nichts geschah. Dann hörte er, wie sich die Kerle entfernten. Sie hatten ihn irgendwo hingebracht und ließen ihn, noch immer zu einem handlichen Bündel verschnürt, dort liegen. Ohne jede Erklärung. Er ahnte nun, wo er sich befand. Die Geräusche, die er hörte, sprachen eine deutliche Sprache.
Einer von ihnen war offenbar zurückgeblieben. In vorwurfsvollem Ton sagte er: »Du hast nicht auf uns gehört. Du hast dich mit Melissa getroffen, obwohl wir es dir verboten hatten. Sie soll in London einen Mann finden, und wir werden dafür sorgen, dass du es nicht bist. Mit ein bisschen Glück wird sie verheiratet sein, bevor du nach Hause zurückfindest. Gute Reise, Line.«
Die Stunden vergingen. Irgendwann schlief Lincoln sogar ein. Er war allein — eingesperrt im Lagerraum eines Schiffes. Sein Bett bestand wahrscheinlich aus Säcken voller Mehl oder Getreide. Das Schif f konnte in einem Londoner Hafen oder auch irgendwo an der Küste liegen. Es gab keine Möglichkeit, das herauszufinden. Und was würde am Morgen geschehen? Würde ihn jemand entdecken, ihn freilassen und ihn im nächsten Hafen an Land setzen?
Was der letzte MacFearson zum Abschied gesagt hatte, deutete nicht darauf hin. Und auch die Bemerkung des Mannes, der Lincoln am späten Vormittag des folgenden Tages von seinen Fesseln befreite, stimmte ihn wenig zuversichtlich.
Lincoln befand sich tatsächlich in einem Lagerraum, in dem sich glücklicherweise nicht allzu viele Ratten tummelten. Der Mann, der ihm nun die Fesseln abnahm, war offenbar für seine Mthilfe bei der Entführung bezahlt worden. >Schanghaien< nannte man so etwas wohl in der Seemannssprache — ob es auf dem Schiff nun an Besatzung fehlte oder nicht, von jetzt an gehörte Lincoln zur Mannschaft.
»Es hilft nichts, wenn du zeterst und schreist. Also lass es am besten bleiben«, sagte der ungeschlachte Geselle, während er mit einem langen Messer an den Stricken um Lincolns Beine herumsäbelte. »Wir sind bereits auf hoher See, und die Reise geht nach China. Du wirst jahrelang kein Land mehr sehen. Also fang schon mal an, dich daran zu gewöhnen. Wenn du deine Arbeit tust wie wir alle, gefällt es dir vielleicht sogar eines Tages. Das Seemannsleben ist sehr gesund.«
Lincoln richtete sich auf und rieb sich Arme und Beine. Langsam kehrte etwas Gefühl in seine Glieder zurück. Er musterte sein Gegenüber. Ja, nun spürte er sie endlich — unbändige Wut. Dennoch brachte er es fertig, ruhig zu bleiben. Es war die Ruhe vor dem Sturm.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
»Es ist alles erledigt.« Mit diesen Worten wurde
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