Verheißungsvolle Küsse
die Augen schauen konnte. Was musste er denken, nachdem Sebastian offensichtlich nackt in ihrem Bett lag?
Trotzdem eine geringe Sorge! Ihr Blick war auf Sebastian gerichtet - sie gab sich leider umsonst Mühe, ihren Verstand in Gang zu setzen. Sein Seufzer, seine Worte - was bedeuteten sie? Er hatte sie entlarvt. Sie war nicht so dumm zu hoffen, dass er nicht alles gehört hätte. Zwar hatten sie Französisch gesprochen, aber er beherrschte es fließend. Jetzt wusste er alles, würde das Schlimmste von ihr denken. Und doch… hatte er sie immer noch »mignonne« genannt …
Sein Blick wanderte von Phillipe zurück zu ihr. Die Sekunden dehnten sich. Sie konnte seinen Blick fühlen, spürte, dass er wartete, aber worauf? Spürte, dass er wünschte, sie würde in seinen Gedanken lesen - als ob sie das könnte!
Nachdem sie einfach so stehen blieb, buchstäblich sprachlos, wie angewurzelt, seufzte er wieder, warf die Decke zurück und rollte aus dem Bett.
Er umrundete es und marschierte auf sie zu.
Helena riss die Augen auf. Öffnete den Mund, um zu protestieren. Konnte keine Worte finden. Ihr stockte der Atem und verschnürte ihr die Kehle.
Sebastian war nackt! Und …
Besaß der Mann kein Schamgefühl?
Offensichtlich nicht. Er bewegte sich herrscherlich, als wäre er in Purpur und Gold gewandet - als wäre er tatsächlich der Kaiser, als der er sich vorher kostümiert hatte.
Phillipe ignorierte er vollkommen.
Als er so nahe war, dass sie seine Augen sehen konnte, öffnete sie den Mund, um eine Erklärung abzugeben. Es kam nichts heraus. Sie hob die Hände, wollte ihn abwehren, ließ sie hilflos wieder fallen.
Direkt vor ihr machte er Halt. Wie immer, blieb seine Miene undurchdringlich, seine Augen waren schattenverhangen, halb geschlossen.
Besiegt, mit trockener Kehle, warf sie die Hände hoch und wandte sich ab. Da gab es nichts zu erklären.
Er streckte die Hand aus, drehte ihr Gesicht zu sich, suchte kurz in ihren Augen.
Dann senkte er den Kopf und berührte ihre Lippen mit seinen. Küsste sie sanft wie ein Hauch. Verweilte nur so lange, bis er sie beschwichtigt hatte.
Nun ermahnte er sie: »Geh zurück ins Bett, mignonne , bevor du dich erkältest.«
Sie starrte ihn an.
Nach einem kurzen Moment lenkte er seinen Blick auf ihren Toilettentisch, auf die beiden Briefe, die zwischen ihrer Schmuckschatulle und dem Spiegel klemmten. Schaute fragend auf. Wölbte eine Braue. »Du erlaubst?«
Sie zögerte, schlug fröstelnd die Arme um sich. Woher wusste er das? Was dachte er?
Sebastian verließ sie und wandte sich dem Toilettentisch zu.
In ihrem Kopf drehte es sich, ihr schwindelte. Schon vor langem hatte sie aufgehört zu atmen. Das Bett war gar keine schlechte Idee. Ohne Phillipe anzusehen, tippelte sie quer durch den Raum. Sie raffte ihren Morgenmantel zusammen und kletterte ins Bett, das noch warm war von Sebastians Hitze.
Ein plötzlicher Schauder packte sie, vertrieb das Gefühl der Lähmung. Sie kuschelte sich in die Decken. Spürte, wie ein bisschen von dem Eis, das sie hatte erstarren lassen, schmolz.
Sie sah zu, wie Sebastian die Briefe entfaltete.
»Ihr solltet Euch besser setzen, de Sèvres.« Ohne den Kopf zu heben, deutete Sebastian mit dem ersten der Briefe, den er geöffnet hatte - den offensichtlich weniger gelesenen - auf einen Stuhl an der Wand. »Diese Angelegenheit zu regeln wird sicher mehr als zwei Minuten in Anspruch nehmen.«
Er merkte, dass Phillipe zögerte, sah den raschen Blick, den der Junge Helena zuwarf; aber dann folgte Phillipe der Aufforderung doch und ließ sich auf den Stuhl fallen. Ein Blick in Phillipes Gesicht bestätigte Helena, dass der Junge vollkommen ratlos war. Er wusste nicht, was er denken sollte, geschweige denn, was tun. Aussehen tat er wie sein älterer Bruder - dunkelhaarig, recht attraktiv, eine etwa zwei Jahre jüngere Version - trotzdem wirkte Phillipe offener, ehrlicher und gradliniger als Louis.
Nachdem er seinen Bericht angehört hatte, sah Sebastian keinen Grund, ihm nicht zu trauen. In seinem Versuch Fabiens Plan zu vereiteln, hatte Phillipe irgendwie mit rührender, wenn auch impulsiver Naivität gezeigt, auf welcher Seite er stand.
Der Brief in Sebastians Hand war in einer feinen mädchenhaften Schrift geschrieben. Er legte ihn weg, zündete die Lampe an, drehte den Docht hoch und nahm das zweite Schreiben.
Er erkannte Fabiens kräftige Feder, obwohl es Jahre her war, seit er sie zuletzt gesehen hatte - seit dem letzten Angebot für den
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