Verheißungsvolle Küsse
Zeremoniendolch. Seiner Erinnerung nach war es das zehnte, jedes im Laufe der Jahre beträchtlich höher. Bei jedem hatte er gegrinst, und sie alle mit großem Genuss abgelehnt.
Fabien hatte also einen anderen Weg gefunden, ihn für seine Frechheit bezahlen zu lassen. Damit hätte er wohl rechnen müssen.
Doch auf diese Art Intrige war er nicht gefasst gewesen … ebenso wenig wie auf die überraschende Vormundschaft.
Fabien hatte immer schon ein untrügliches Gefühl für Ironie besessen. Genau wie er …
Er legte Fabiens Brief beiseite und nahm den anderen. »Du hast diese Briefe nach deiner Ankunft hier erhalten!« Es war keine Frage. »Von wem?«
Helena zögerte, dann erwiderte sie: »Von Louis.«
Die Verwirrung in ihrer Stimme entlockte ihm ein Lächeln obwohl er wusste, dass sie es nicht einordnen konnte. Sie glaubte es immer noch nicht, begriff die ganze Angelegenheit nicht.
Wie dem auch sei - irgendwann würde der Groschen fallen.
Er las den Brief ihrer Schwester durch - las jedes Wort. Es war wichtig, dass er jeden noch so kleinen Hinweis bemerkte, alles, was für sein weiteres Vorgehen wichtig sein könnte.
Als er mit dem ersten Brief fertig war, öffnete er den zweiten abermals. Die Drohung von Fabien. Sebastian sah rot! Obwohl er bereits wusste, was er enthielt und er aus dem Nachsatz, den Ariele auf Fabiens Verlangen hinzugefügt hatte, die Drohung schon kannte. Seine Hände zitterten. Er musste sich abwenden - in die Flamme der Lampe starren, bis er seine Wut unter Kontrolle hatte. Fabien war nicht verfügbar, um ihn mit bloßen Händen in Stücke zu reißen! Das würde später passieren.
Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, fähig war sich mit dem zu befassen, was Helena hatte durchmachen müssen - alles wegen eines lächerlichen Dolchs - las er den Brief zu Ende, dann legte er ihn weg.
Verharrte einen Augenblick, um die Fakten in seinem Kopf zu ordnen. Um die Fragen bezüglich ihrer Reaktion zu formulieren, um Trost und Genugtuung aus ihrem inneren Dilemma zu schöpfen - nämlich, dass sie sich gewehrt, den Moment des Verrats hinausgezögert hatte, sich an ihn klammerte, so lange sie konnte. Obwohl es um ihre Schwester ging, derjenige Mensch, der in ihrem Leben vermutlich der kostbarste war - deren Wohlbefinden so tückisch auf die andere Seite der Waagschale gelegt worden war …
Helena hatte Ariele jahrelang behütet; auf die Bedrohung ihrer Schwester reagierte sie instinktiv, mit tiefer Verantwortung. Dieser skrupellose Fabien hatte, wie immer, gut gewählt.
Nur dummerweise war eine höhere Macht in dem Spiel aufgetaucht.
Rasch, mit angeborenem Geschick, das durch die Welt, in der er sich seit vielen Jahren tummelte, zur Perfektion geschliffen worden war, entwarf Sebastian die Grundzüge eines Gegenschlags. Listete die wichtigsten Fakten, die Hauptpunkte auf.
Gedankenverloren faltete er die Pergamente, stellte sie zurück neben Helenas Schmuckschatulle, wandte sich um zu der Schlafnische. Hob seinen Morgenmantel vom Boden auf und streifte ihn über.
Stellte sich Helenas Blick.
Nach einer Weile fragte sie: »Wirst du mir den Dolch geben?«
Er zögerte, überlegte, wie viel er ihr erzählen sollte. Wenn er behauptete, Ariele wäre in Sicherheit und Fabiens Drohung nur ein Bluff, entworfen und mit exquisiter Hand eingefädelt, um Helena unter sein Kommando zu zwingen, würden Helena und Phillipe ihm das glauben? Seit über einem halben Jahrzehnt war er Fabien nicht mehr begegnet; aber er bezweifelte, dass Menschen sich änderten - nicht in dieser Hinsicht. Er und Fabien hatten mancherlei ähnliche Vorlieben, was zum Großteil der Grund für ihre Rivalität war.
Und genau deshalb hatte Fabien ihm auch Helena geschickt - er wusste, welchen Köder er für seine Falle brauchte. Leider würde in diesem Fall der Köder den Fallensteller beißen! Was Sebastian mitnichten traurig stimmte.
Jedoch gab es, ganz abgesehen davon, dass er wieder über seinen alten Widersacher triumphieren würde, noch einen weiteren, wesentlich wichtigeren Aspekt, der in Betracht gezogen werden musste. Wenn Helena nicht zu überzeugen war, dass er Fabien besiegen konnte, würde sie sich niemals sicher, vollständig und absolut frei fühlen.
Vielleicht würde sie sogar in Zukunft ein Lockvogel für Fabien bleiben - und das würde er unter keinen Umständen zulassen.
»Nein.« Er band den Gürtel seines Morgenmantels zu, zog ihn fest. »Ich werde dir den Dolch nicht geben. An diesem Spiel nehme ich nicht
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