Verheißungsvolle Küsse
Klingen gekreuzt zu haben.
Sebastian beobachtete sie noch einen Moment, während sie mit ihrem Dämon kämpfte. Sie hatte sich so an seine Gegenwart gewöhnt, dass ihre Maske, wenn sie sich nicht auf ihn konzentrierte, sich seiner nicht bewusst war, ins Rutschen geriet und er mehr sehen konnte … genug, um nach ihrer Hand zu greifen. »Mignonne …«
Sie zuckte zusammen, hatte ihn vorübergehend völlig vergessen. Für einen flüchtigen Moment sah er…Entsetzen, Angst - doch über all dem schwebte eine grenzenlose, alles durchdringende Traurigkeit. Bevor er reagieren konnte, war ihre Maske wieder da und sie lächelte - zu strahlend, zu aufgesetzt.
Er packte ihre Hand fester, erwartete, dass sie aufstehen und fliehen würde.
Fast ohne nachzudenken übertrumpfte sie sein Ass. Sie stieß sich vom Schreibtisch ab und glitt auf seinen Schoß. » Eh bien - wenn du deine Arbeit beenden musst …«
Sein Körper reagierte sofort. Das weiche, warme, entschieden feminine Gewicht, das sich ihm so hingebungsvoll, so unbekümmert anvertraute, ließ seine Dämonen geifern. Während er sich mühte, sie zu bändigen, befreite sie ihre Hand und drehte sein Gesicht zu ihrem.
Heftete ihre Lippen auf seine.
Helena küsste ihn sehnsüchtig, lange - mit einem tiefen Verlangen, von dem er wusste, dass es nicht vorgetäuscht war, weil er es genauso verspürte.
Er hatte sein Wort gegeben, sie nicht zu manipulieren. Als sie ihn tiefer in ihren Kuss verstrickte, in die Wonne ihres Mundes, wurde ihm klar, dass er von ihr ein ähnliches Versprechen hätte fordern sollen.
Seine Arme umfingen sie, Augenblicke später suchte seine Hand ihre Brust.
Er konnte sie beschwichtigen, ihr Freude bereiten, sich von ihr ablenken lassen. Aber das, was er gesehen hatte, würde er nicht vergessen.
Bittersüß. Für Helena waren die Tage, die folgten, dessen Inbegriff. Bitter, wann immer sie an Ariele dachte, an Fabien, an den Dolch, den sie stehlen musste. An den Verrat, den sie begehen würde. Süß die Stunden, die sie mit Sebastian verbrachte, in seinen Armen. In diesen flüchtigen Augenblicken fühlte sie sich sicher, geborgen, frei von Fabiens schwarzem Bann.
Aber sobald sie sich aus Sebastians Armen löste, umfing sie erneut die düstere Realität. Es fiel ihr immer schwerer, ihr bleiernes Herz zu verbergen.
Sebastian hatte sie für eine Woche eingeladen; doch die Woche verstrich und keiner scherte sich um, oder sprach von Abreise. Der Winter schlug seine Klauen fester in Felder und Alleen; auf Somersham gab es dagegen lodernde Feuer, gemütliche Zimmer und genug Zeitvertreib, sodass es niemandem langweilig wurde.
Draußen starb das Jahr; drinnen schien es, als ob das große Haus sich reckte und zum Leben erwachte. Obwohl sie nicht direkt daran beteiligt war, konnte sich Helena der wachsenden Erregung, der Vorfreude nicht zur Gänze entziehen, die die zahllosen Vorbereitungen für die Weihnachtsfeierlichkeiten und das dazugehörige Familientreffen mit sich brachten.
Clara lächelte eigentlich ständig, zeigte voller Eifer diesen oder jenen Brauch, oder erklärte, woher die Zweige und die Stechpalmen, mit denen man die Räume dekorierte, stammten; außerdem verriet sie die geheimen Zutaten ihres Weihnachtspunsches.
Dennoch musste Helena oft nach außen hin freudige Erwartung vortäuschen, während sie innerlich finstere Verzweiflung durchlebte.
Seit dem Tag in seinem Arbeitszimmer, als sie herausfand, wie und wann er Fabien begegnet war und den Dolch gewonnen hatte - wenn man die beiden kannte, war das die eheste Wahrscheinlichkeit, wie Sebastian in den Besitz gekommen war - und sie darüber so erschrak, dass sie ihm beinahe alles erzählt hätte - von da an machte es sich Sebastian zu ihrer Überraschung zur Aufgabe, sie mit Geschichten von seinen Ahnen, seiner Familie, seiner Kindheit und seinem privaten Leben zu unterhalten.
Geschichten, die er, wie sie wusste, keinem anderen erzählte.
Wie damals, als er sich in der riesigen Eiche neben den Stallungen verstiegen hatte und sich fallen lassen musste, um wieder herunterzukommen. Wie verängstigt er gewesen war! Oder wie sehr er sein erstes Pony geliebt hatte und wie er weinte, als es starb!
Wenn er sich nicht so offensichtlich Mühe gäbe, durchschaubar zu sein, hätte sie sich vielleicht gefragt, ob er trotz seines Schwurs und seines Versprechens, sie nicht zu manipulieren, einfach nicht anders konnte. Tatsächlich rückte er das alles ohne Umschweife heraus, manchmal sogar etwas
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